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Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.

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Ein Schauspiel.
Antworte, wenn er sendet und das Opfer
Mir dringender gebiethet. Ach! ich sehe wohl,
Ich muß mich leiten lassen wie ein Kind.
Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten,
Noch jemand etwas abzulisten. Weh!
O weh der Lüge! Sie befreyet nicht,
Wie jedes andre wahrgesprochne Wort,
Die Brust; sie macht uns nicht getrost, sie
ängstet
Den der sie heimlich schmiedet, und sie kehrt,
Ein losgedruckter Pfeil von einem Gotte
Gewendet und versagend, sich zurück
Und trift den Schützen. Sorg' auf Sorge
schwankt
Mir durch die Brust. Es greift die Furie
Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder
Des ungeweihten Ufers grimmig an?
Entdeckt man sie vielleicht? Mich dünkt, ich höre
Gewaffnete sich nahen! -- Hier! -- Der Bothe
Kommt von dem Könige mit schnellem Schritt.
Es schlägt mein Herz, es trübt sich meine Seele,
Da ich des Mannes Angesicht erblicke,
Dem ich mit falschem Wort begegnen soll.

Ein Schauſpiel.
Antworte, wenn er ſendet und das Opfer
Mir dringender gebiethet. Ach! ich ſehe wohl,
Ich muß mich leiten laſſen wie ein Kind.
Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten,
Noch jemand etwas abzuliſten. Weh!
O weh der Lüge! Sie befreyet nicht,
Wie jedes andre wahrgeſprochne Wort,
Die Bruſt; ſie macht uns nicht getroſt, ſie
ängſtet
Den der ſie heimlich ſchmiedet, und ſie kehrt,
Ein losgedruckter Pfeil von einem Gotte
Gewendet und verſagend, ſich zurück
Und trift den Schützen. Sorg’ auf Sorge
ſchwankt
Mir durch die Bruſt. Es greift die Furie
Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder
Des ungeweihten Ufers grimmig an?
Entdeckt man ſie vielleicht? Mich dünkt, ich höre
Gewaffnete ſich nahen! — Hier! — Der Bothe
Kommt von dem Könige mit ſchnellem Schritt.
Es ſchlägt mein Herz, es trübt ſich meine Seele,
Da ich des Mannes Angeſicht erblicke,
Dem ich mit falſchem Wort begegnen ſoll.

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[85/0094] Ein Schauſpiel. Antworte, wenn er ſendet und das Opfer Mir dringender gebiethet. Ach! ich ſehe wohl, Ich muß mich leiten laſſen wie ein Kind. Ich habe nicht gelernt zu hinterhalten, Noch jemand etwas abzuliſten. Weh! O weh der Lüge! Sie befreyet nicht, Wie jedes andre wahrgeſprochne Wort, Die Bruſt; ſie macht uns nicht getroſt, ſie ängſtet Den der ſie heimlich ſchmiedet, und ſie kehrt, Ein losgedruckter Pfeil von einem Gotte Gewendet und verſagend, ſich zurück Und trift den Schützen. Sorg’ auf Sorge ſchwankt Mir durch die Bruſt. Es greift die Furie Vielleicht den Bruder auf dem Boden wieder Des ungeweihten Ufers grimmig an? Entdeckt man ſie vielleicht? Mich dünkt, ich höre Gewaffnete ſich nahen! — Hier! — Der Bothe Kommt von dem Könige mit ſchnellem Schritt. Es ſchlägt mein Herz, es trübt ſich meine Seele, Da ich des Mannes Angeſicht erblicke, Dem ich mit falſchem Wort begegnen ſoll.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/94>, abgerufen am 23.11.2024.