Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Ein Schauspiel. Hält jenes blutige Gesetz gefesselt;Ein reines Herz und Weihrauch und Gebeth Bringt sie den Göttern dar. Man rühmet hoch Die Gütige; man glaubet, sie entspringe Vom Stamm der Amazonen, sey geflohn, Um einem großen Unheil zu entgehn. Orest. Es scheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt. Die fromme Blutgier lös't den alten Brauch Von seinen Fesseln los, uns zu verderben. Der wilde Sinn des Königs tödtet uns; Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt. Pylades. Wohl uns, daß es ein Weib ist! denn ein Mann, Der beste selbst, gewöhnet seinen Geist An Grausamkeit, und macht sich auch zuletzt Aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz, Wird aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich. Allein ein Weib bleibt stät auf Einem Sinn, Ein Schauſpiel. Hält jenes blutige Geſetz gefeſſelt;Ein reines Herz und Weihrauch und Gebeth Bringt ſie den Göttern dar. Man rühmet hoch Die Gütige; man glaubet, ſie entſpringe Vom Stamm der Amazonen, ſey geflohn, Um einem großen Unheil zu entgehn. Oreſt. Es ſcheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt. Die fromme Blutgier löſ’t den alten Brauch Von ſeinen Feſſeln los, uns zu verderben. Der wilde Sinn des Königs tödtet uns; Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt. Pylades. Wohl uns, daß es ein Weib iſt! denn ein Mann, Der beſte ſelbſt, gewöhnet ſeinen Geiſt An Grauſamkeit, und macht ſich auch zuletzt Aus dem, was er verabſcheut, ein Geſetz, Wird aus Gewohnheit hart und faſt unkenntlich. Allein ein Weib bleibt ſtät auf Einem Sinn, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#PYL"> <p><pb facs="#f0056" n="47"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Schauſpiel</hi>.</fw><lb/> Hält jenes blutige Geſetz gefeſſelt;<lb/> Ein reines Herz und Weihrauch und Gebeth<lb/> Bringt ſie den Göttern dar. Man rühmet hoch<lb/> Die Gütige; man glaubet, ſie entſpringe<lb/> Vom Stamm der Amazonen, ſey geflohn,<lb/> Um einem großen Unheil zu entgehn.</p> </sp><lb/> <sp who="#ORE"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Oreſt</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Es ſcheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft<lb/> Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch<lb/> Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt.<lb/> Die fromme Blutgier löſ’t den alten Brauch<lb/> Von ſeinen Feſſeln los, uns zu verderben.<lb/> Der wilde Sinn des Königs tödtet uns;<lb/> Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt.</p> </sp><lb/> <sp who="#PYL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Pylades</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Wohl uns, daß es ein Weib iſt! denn ein Mann,<lb/> Der beſte ſelbſt, gewöhnet ſeinen Geiſt<lb/> An Grauſamkeit, und macht ſich auch zuletzt<lb/> Aus dem, was er verabſcheut, ein Geſetz,<lb/> Wird aus Gewohnheit hart und faſt unkenntlich.<lb/> Allein ein Weib bleibt ſtät auf Einem Sinn,<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0056]
Ein Schauſpiel.
Hält jenes blutige Geſetz gefeſſelt;
Ein reines Herz und Weihrauch und Gebeth
Bringt ſie den Göttern dar. Man rühmet hoch
Die Gütige; man glaubet, ſie entſpringe
Vom Stamm der Amazonen, ſey geflohn,
Um einem großen Unheil zu entgehn.
Oreſt.
Es ſcheint, ihr lichtes Reich verlor die Kraft
Durch des Verbrechers Nähe, den der Fluch
Wie eine breite Nacht verfolgt und deckt.
Die fromme Blutgier löſ’t den alten Brauch
Von ſeinen Feſſeln los, uns zu verderben.
Der wilde Sinn des Königs tödtet uns;
Ein Weib wird uns nicht retten, wenn er zürnt.
Pylades.
Wohl uns, daß es ein Weib iſt! denn ein Mann,
Der beſte ſelbſt, gewöhnet ſeinen Geiſt
An Grauſamkeit, und macht ſich auch zuletzt
Aus dem, was er verabſcheut, ein Geſetz,
Wird aus Gewohnheit hart und faſt unkenntlich.
Allein ein Weib bleibt ſtät auf Einem Sinn,
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