Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Iphigenie auf Tauris Sey Trost und Hülf' und Rückkehr dir bereitet.Der Götter Worte sind nicht doppelsinnig, Wie der Gedrückte sie im Unmuth wähnt. Orest. Des Lebens dunkle Decke breitete Die Mutter schon mir um das zarte Haupt, Und so wuchs ich herauf, ein Ebenbild Des Vaters, und es war mein stummer Blick Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen. Wie oft, wenn still Elektra meine Schwester Am Feuer in der tiefen Halle saß, Drängt' ich beklommen mich an ihren Schoos, Und starrte, wie sie bitter weinte, sie Mit großen Augen an. Dann sagte sie Von unserm hohen Vater viel: wie sehr Verlangt' ich ihn zu sehn, bey ihm zu seyn! Mich wünscht' ich bald nach Troja, ihn bald her. Es kam der Tag -- Pylades. O laß von jener Stunde Sich Höllengeister nächtlich unterhalten! Uns gebe die Erinnrung schöner Zeit Iphigenie auf Tauris Sey Troſt und Hülf’ und Rückkehr dir bereitet.Der Götter Worte ſind nicht doppelſinnig, Wie der Gedrückte ſie im Unmuth wähnt. Oreſt. Des Lebens dunkle Decke breitete Die Mutter ſchon mir um das zarte Haupt, Und ſo wuchs ich herauf, ein Ebenbild Des Vaters, und es war mein ſtummer Blick Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen. Wie oft, wenn ſtill Elektra meine Schweſter Am Feuer in der tiefen Halle ſaß, Drängt’ ich beklommen mich an ihren Schoos, Und ſtarrte, wie ſie bitter weinte, ſie Mit großen Augen an. Dann ſagte ſie Von unſerm hohen Vater viel: wie ſehr Verlangt’ ich ihn zu ſehn, bey ihm zu ſeyn! Mich wünſcht’ ich bald nach Troja, ihn bald her. Es kam der Tag — Pylades. O laß von jener Stunde Sich Höllengeiſter nächtlich unterhalten! Uns gebe die Erinnrung ſchöner Zeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#PYL"> <p><pb facs="#f0047" n="38"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Iphigenie auf Tauris</hi></fw><lb/> Sey Troſt und Hülf’ und Rückkehr dir bereitet.<lb/> Der Götter Worte ſind nicht doppelſinnig,<lb/> Wie der Gedrückte ſie im Unmuth wähnt.</p> </sp><lb/> <sp who="#ORE"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Oreſt</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Des Lebens dunkle Decke breitete<lb/> Die Mutter ſchon mir um das zarte Haupt,<lb/> Und ſo wuchs ich herauf, ein Ebenbild<lb/> Des Vaters, und es war mein ſtummer Blick<lb/> Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.<lb/> Wie oft, wenn ſtill Elektra meine Schweſter<lb/> Am Feuer in der tiefen Halle ſaß,<lb/> Drängt’ ich beklommen mich an ihren Schoos,<lb/> Und ſtarrte, wie ſie bitter weinte, ſie<lb/> Mit großen Augen an. Dann ſagte ſie<lb/> Von unſerm hohen Vater viel: wie ſehr<lb/> Verlangt’ ich ihn zu ſehn, bey ihm zu ſeyn!<lb/> Mich wünſcht’ ich bald nach Troja, ihn bald her.<lb/> Es kam der Tag —</p> </sp><lb/> <sp who="#PYL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Pylades</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">O laß von jener Stunde</hi><lb/> Sich Höllengeiſter nächtlich unterhalten!<lb/> Uns gebe die Erinnrung ſchöner Zeit<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [38/0047]
Iphigenie auf Tauris
Sey Troſt und Hülf’ und Rückkehr dir bereitet.
Der Götter Worte ſind nicht doppelſinnig,
Wie der Gedrückte ſie im Unmuth wähnt.
Oreſt.
Des Lebens dunkle Decke breitete
Die Mutter ſchon mir um das zarte Haupt,
Und ſo wuchs ich herauf, ein Ebenbild
Des Vaters, und es war mein ſtummer Blick
Ein bittrer Vorwurf ihr und ihrem Buhlen.
Wie oft, wenn ſtill Elektra meine Schweſter
Am Feuer in der tiefen Halle ſaß,
Drängt’ ich beklommen mich an ihren Schoos,
Und ſtarrte, wie ſie bitter weinte, ſie
Mit großen Augen an. Dann ſagte ſie
Von unſerm hohen Vater viel: wie ſehr
Verlangt’ ich ihn zu ſehn, bey ihm zu ſeyn!
Mich wünſcht’ ich bald nach Troja, ihn bald her.
Es kam der Tag —
Pylades.
O laß von jener Stunde
Sich Höllengeiſter nächtlich unterhalten!
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/47>, abgerufen am 16.02.2025. |