Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832. Helena. Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid's Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt. Phorkyas. Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild, In Ilios gesehen und in Aegypten auch. Helena. Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar. Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht. Phorkyas. Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir! Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß. Helena. Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich. Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst. Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol. (Sinkt dem Halbchor in die Arme.) Chor. Schweige, schweige! Mißblickende, mißredende du! Aus so gräßlichen einzahnigen Lippen! was enthaucht wohl Solchem furchtbaren Gräuelschlund. Denn der Bösartige wohlthätig erscheinend, Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ, Mir ist er weit schrecklicher als des drey- köpfigen Hundes Rachen. Helena. Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt. Phorkyas. Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild, In Ilios gesehen und in Aegypten auch. Helena. Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar. Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht. Phorkyas. Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir! Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß. Helena. Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich. Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst. Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol. (Sinkt dem Halbchor in die Arme.) Chor. Schweige, schweige! Mißblickende, mißredende du! Aus so gräßlichen einzahnigen Lippen! was enthaucht wohl Solchem furchtbaren Gräuelschlund. Denn der Bösartige wohlthätig erscheinend, Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ, Mir ist er weit schrecklicher als des drey- köpfigen Hundes Rachen. <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <pb facs="#f0207" n="195"/> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Helena.</hi> </speaker><lb/> <p>Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s<lb/> Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Phorkyas.</hi> </speaker><lb/> <p>Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,<lb/> In Ilios gesehen und in Aegypten auch.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Helena.</hi> </speaker><lb/> <p>Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.<lb/> Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Phorkyas.</hi> </speaker><lb/> <p>Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf<lb/> Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!<lb/> Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Helena.</hi> </speaker><lb/> <p>Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.<lb/> Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.<lb/> Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.<lb/></p> <stage>(Sinkt dem Halbchor in die Arme.)</stage><lb/> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Chor.</hi> </speaker><lb/> <lg type="poem"> <lg> <l rendition="#et">Schweige, schweige!</l><lb/> <l rendition="#et">Mißblickende, mißredende du!</l><lb/> <l rendition="#et">Aus so gräßlichen einzahnigen</l><lb/> <l rendition="#et">Lippen! was enthaucht wohl</l><lb/> <l rendition="#et">Solchem furchtbaren Gräuelschlund.</l><lb/> </lg> <lg> <l rendition="#et">Denn der Bösartige wohlthätig erscheinend,</l><lb/> <l rendition="#et">Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ,</l><lb/> <l rendition="#et">Mir ist er weit schrecklicher als des drey-</l><lb/> <l rendition="#et">köpfigen Hundes Rachen.</l><lb/> </lg> </lg> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0207]
Helena.
Gedenke nicht der Freuden! allzuherben Leid’s
Unendlichkeit ergoß sich über Brust und Haupt.
Phorkyas.
Doch sagt man, du erschienst ein doppelhaft Gebild,
In Ilios gesehen und in Aegypten auch.
Helena.
Verwirre wüsten Sinnes Aberwitz nicht gar.
Selbst jetzo, welche denn ich sey, ich weiß es nicht.
Phorkyas.
Dann sagen sie: aus hohlem Schattenreich herauf
Gesellte sich inbrünstig noch Achill zu dir!
Dich früher liebend gegen allen Geschicks Beschluß.
Helena.
Ich als Idol, ihm dem Idol verband ich mich.
Es war ein Traum, so sagen ja die Worte selbst.
Ich schwinde hin und werde selbst mir ein Idol.
(Sinkt dem Halbchor in die Arme.)
Chor.
Schweige, schweige!
Mißblickende, mißredende du!
Aus so gräßlichen einzahnigen
Lippen! was enthaucht wohl
Solchem furchtbaren Gräuelschlund.
Denn der Bösartige wohlthätig erscheinend,
Wolfesgrimm unter schafwolligem Vließ,
Mir ist er weit schrecklicher als des drey-
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832/207>, abgerufen am 16.02.2025. |