Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832.
Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin, Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht. Wie oft schon wiederholt sich's! Wird sich immerfort In's Ewige wiederholen... Keiner gönnt das Reich Dem Andern, dem gönnt's keiner der's mit Kraft erwarb Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß... Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft: Wie sich Gewalt Gewaltigerm entgegenstellt, Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt, Der starre Lorbeer sich um's Haupt des Herrschers biegt. Hier träumte Magnus früher Größe Blüthentag, Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort! Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem's gelang. Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende; Der Boden haucht vergoss'nen Blutes Wiederschein, Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht, Versammelt sich hellenischer Sage Legion. Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild... Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell, Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall; Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau. Doch, über mir! welch unerwartet Meteor? Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball. Ich wittre Leben. Da geziemen will mir's nicht
Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin, Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht. Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort In’s Ewige wiederholen… Keiner gönnt das Reich Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s mit Kraft erwarb Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß… Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft: Wie sich Gewalt Gewaltigerm entgegenstellt, Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt, Der starre Lorbeer sich um’s Haupt des Herrschers biegt. Hier träumte Magnus früher Größe Blüthentag, Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort! Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s gelang. Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende; Der Boden haucht vergoss’nen Blutes Wiederschein, Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht, Versammelt sich hellenischer Sage Legion. Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild… Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell, Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall; Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau. Doch, über mir! welch unerwartet Meteor? Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball. Ich wittre Leben. Da geziemen will mir’s nicht <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <sp> <p><pb facs="#f0125" n="113"/> Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin,<lb/> Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.<lb/> Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort<lb/> In’s Ewige wiederholen… Keiner gönnt das Reich<lb/> Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s mit Kraft erwarb<lb/> Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst<lb/> Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern<lb/> Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß…<lb/> Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft:<lb/> Wie sich Gewalt Gewaltigerm entgegenstellt,<lb/> Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt,<lb/> Der starre Lorbeer sich um’s Haupt des Herrschers biegt.<lb/> Hier träumte Magnus früher Größe Blüthentag,<lb/> Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!<lb/> Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s gelang.<lb/></p><lb/> <p> Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende;<lb/> Der Boden haucht vergoss’nen Blutes Wiederschein,<lb/> Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,<lb/> Versammelt sich hellenischer Sage Legion.<lb/> Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt<lb/> Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild…<lb/> Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,<lb/> Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;<lb/> Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.<lb/></p><lb/> <p> Doch, über mir! welch unerwartet Meteor?<lb/> Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.<lb/> Ich wittre Leben. Da geziemen will mir’s nicht<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0125]
Von grauer Zelten Woge weit das Thal dahin,
Als Nachgesicht der sorg- und grauenvollsten Nacht.
Wie oft schon wiederholt sich’s! Wird sich immerfort
In’s Ewige wiederholen… Keiner gönnt das Reich
Dem Andern, dem gönnt’s keiner der’s mit Kraft erwarb
Und kräftig herrscht. Denn jeder, der sein innres Selbst
Nicht zu regieren weiß, regierte gar zu gern
Des Nachbars Willen, eignem stolzem Sinn gemäß…
Hier aber ward ein großes Beispiel durchgekämpft:
Wie sich Gewalt Gewaltigerm entgegenstellt,
Der Freiheit holder, tausendblumiger Kranz zerreißt,
Der starre Lorbeer sich um’s Haupt des Herrschers biegt.
Hier träumte Magnus früher Größe Blüthentag,
Dem schwanken Zünglein lauschend wachte Cäsar dort!
Das wird sich messen. Weiß die Welt doch wem’s gelang.
Wachfeuer glühen, rothe Flammen spendende;
Der Boden haucht vergoss’nen Blutes Wiederschein,
Und angelockt von seltnem Wunderglanz der Nacht,
Versammelt sich hellenischer Sage Legion.
Um alle Feuer schwankt unsicher, oder sitzt
Behaglich, alter Tage fabelhaft Gebild…
Der Mond, zwar unvollkommen, aber leuchtend hell,
Erhebt sich, milden Glanz verbreitend überall;
Der Zelten Trug verschwindet, Feuer brennen blau.
Doch, über mir! welch unerwartet Meteor?
Es leuchtet und beleuchtet körperlichen Ball.
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832/125>, abgerufen am 16.02.2025. |