Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.
Allein sie haben schrecklich viel gelesen. Wie machen wir's? daß alles frisch und neu Und mit Bedeutung auch gefällig sey. Denn freylich mag ich gern die Menge sehen, Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt, Und mit gewaltig wiederholten Wehen, Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt; Bey hellem Tage, schon vor Vieren, Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren, Um ein Billet sich fast die Hälse bricht. Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute. Dichter. O sprich mir nicht von jener bunten Menge, Bey deren Anblick uns der Geist entflieht. Verhülle mir das wogende Gedränge, Das wider Willen uns zum Strudel zieht. Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge, Wo nur dem Dichter reine Freude blüht; Wo Lieb' und Freundschaft unsres Herzens Segen Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
Allein ſie haben ſchrecklich viel geleſen. Wie machen wir’s? daß alles friſch und neu Und mit Bedeutung auch gefaͤllig ſey. Denn freylich mag ich gern die Menge ſehen, Wenn ſich der Strom nach unſrer Bude draͤngt, Und mit gewaltig wiederholten Wehen, Sich durch die enge Gnadenpforte zwaͤngt; Bey hellem Tage, ſchon vor Vieren, Mit Stoͤßen ſich bis an die Kaſſe ficht Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthuͤren, Um ein Billet ſich faſt die Haͤlſe bricht. Dieß Wunder wirkt auf ſo verſchiedne Leute Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute. Dichter. O ſprich mir nicht von jener bunten Menge, Bey deren Anblick uns der Geiſt entflieht. Verhuͤlle mir das wogende Gedraͤnge, Das wider Willen uns zum Strudel zieht. Nein, fuͤhre mich zur ſtillen Himmelsenge, Wo nur dem Dichter reine Freude bluͤht; Wo Lieb’ und Freundſchaft unſres Herzens Segen Mit Goͤtterhand erſchaffen und erpflegen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#DIR"> <p><pb facs="#f0016" n="10"/> Allein ſie haben ſchrecklich viel geleſen.<lb/> Wie machen wir’s? daß alles friſch und neu<lb/> Und mit Bedeutung auch gefaͤllig ſey.<lb/> Denn freylich mag ich gern die Menge ſehen,<lb/> Wenn ſich der Strom nach unſrer Bude draͤngt,<lb/> Und mit gewaltig wiederholten Wehen,<lb/> Sich durch die enge Gnadenpforte zwaͤngt;<lb/> Bey hellem Tage, ſchon vor Vieren,<lb/> Mit Stoͤßen ſich bis an die Kaſſe ficht<lb/> Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthuͤren,<lb/> Um ein Billet ſich faſt die Haͤlſe bricht.<lb/> Dieß Wunder wirkt auf ſo verſchiedne Leute<lb/> Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIC"> <speaker><hi rendition="#g">Dichter</hi>.</speaker><lb/> <p>O ſprich mir nicht von jener bunten Menge,<lb/> Bey deren Anblick uns der Geiſt entflieht.<lb/> Verhuͤlle mir das wogende Gedraͤnge,<lb/> Das wider Willen uns zum Strudel zieht.<lb/> Nein, fuͤhre mich zur ſtillen Himmelsenge,<lb/> Wo nur dem Dichter reine Freude bluͤht;<lb/> Wo Lieb’ und Freundſchaft unſres Herzens Segen<lb/> Mit Goͤtterhand erſchaffen und erpflegen.</p><lb/> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [10/0016]
Allein ſie haben ſchrecklich viel geleſen.
Wie machen wir’s? daß alles friſch und neu
Und mit Bedeutung auch gefaͤllig ſey.
Denn freylich mag ich gern die Menge ſehen,
Wenn ſich der Strom nach unſrer Bude draͤngt,
Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
Sich durch die enge Gnadenpforte zwaͤngt;
Bey hellem Tage, ſchon vor Vieren,
Mit Stoͤßen ſich bis an die Kaſſe ficht
Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthuͤren,
Um ein Billet ſich faſt die Haͤlſe bricht.
Dieß Wunder wirkt auf ſo verſchiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute.
Dichter.
O ſprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bey deren Anblick uns der Geiſt entflieht.
Verhuͤlle mir das wogende Gedraͤnge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, fuͤhre mich zur ſtillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude bluͤht;
Wo Lieb’ und Freundſchaft unſres Herzens Segen
Mit Goͤtterhand erſchaffen und erpflegen.
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