Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808. Mephistopheles. Ich wünschte nicht euch irre zu führen. Was diese Wissenschaft betrifft, Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden, Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift, Und von der Arzeney ists kaum zu unterscheiden. Am besten ist's auch hier, wenn ihr nur Einen hört, Und auf des Meisters Worte schwört. Im Ganzen -- haltet euch an Worte! Dann geht ihr durch die sichre Pforte Zum Tempel der Gewißheit ein. Schüler. Doch ein Begriff muß bey dem Worte seyn. Mephistopheles. Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten läßt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte läßt sich trefflich glauben, Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben. Mephiſtopheles. Ich wuͤnſchte nicht euch irre zu fuͤhren. Was dieſe Wiſſenſchaft betrifft, Es iſt ſo ſchwer den falſchen Weg zu meiden, Es liegt in ihr ſo viel verborgnes Gift, Und von der Arzeney iſts kaum zu unterſcheiden. Am beſten iſt’s auch hier, wenn ihr nur Einen hoͤrt, Und auf des Meiſters Worte ſchwoͤrt. Im Ganzen — haltet euch an Worte! Dann geht ihr durch die ſichre Pforte Zum Tempel der Gewißheit ein. Schuͤler. Doch ein Begriff muß bey dem Worte ſeyn. Mephiſtopheles. Schon gut! Nur muß man ſich nicht allzu aͤngſtlich quaͤlen; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein. Mit Worten laͤßt ſich trefflich ſtreiten, Mit Worten ein Syſtem bereiten, An Worte laͤßt ſich trefflich glauben, Von einem Wort laͤßt ſich kein Jota rauben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0128" n="122"/> <sp who="#MEP"> <speaker><hi rendition="#g">Mephiſtopheles</hi>.</speaker><lb/> <p>Ich wuͤnſchte nicht euch irre zu fuͤhren.<lb/> Was dieſe Wiſſenſchaft betrifft,<lb/> Es iſt ſo ſchwer den falſchen Weg zu meiden,<lb/> Es liegt in ihr ſo viel verborgnes Gift,<lb/> Und von der Arzeney iſts kaum zu unterſcheiden.<lb/> Am beſten iſt’s auch hier, wenn ihr nur Einen hoͤrt,<lb/> Und auf des Meiſters Worte ſchwoͤrt.<lb/> Im Ganzen — haltet euch an Worte!<lb/> Dann geht ihr durch die ſichre Pforte<lb/> Zum Tempel der Gewißheit ein.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCHUE"> <speaker><hi rendition="#g">Schuͤler</hi>.</speaker><lb/> <p>Doch ein Begriff muß bey dem Worte ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp who="#MEP"> <speaker><hi rendition="#g">Mephiſtopheles</hi>.</speaker><lb/> <p>Schon gut! Nur muß man ſich nicht allzu aͤngſtlich quaͤlen;<lb/> Denn eben wo Begriffe fehlen,<lb/> Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein.<lb/> Mit Worten laͤßt ſich trefflich ſtreiten,<lb/> Mit Worten ein Syſtem bereiten,<lb/> An Worte laͤßt ſich trefflich glauben,<lb/> Von einem Wort laͤßt ſich kein Jota rauben.</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [122/0128]
Mephiſtopheles.
Ich wuͤnſchte nicht euch irre zu fuͤhren.
Was dieſe Wiſſenſchaft betrifft,
Es iſt ſo ſchwer den falſchen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr ſo viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney iſts kaum zu unterſcheiden.
Am beſten iſt’s auch hier, wenn ihr nur Einen hoͤrt,
Und auf des Meiſters Worte ſchwoͤrt.
Im Ganzen — haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die ſichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.
Schuͤler.
Doch ein Begriff muß bey dem Worte ſeyn.
Mephiſtopheles.
Schon gut! Nur muß man ſich nicht allzu aͤngſtlich quaͤlen;
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein.
Mit Worten laͤßt ſich trefflich ſtreiten,
Mit Worten ein Syſtem bereiten,
An Worte laͤßt ſich trefflich glauben,
Von einem Wort laͤßt ſich kein Jota rauben.
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