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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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hätte sicher fortwandeln können; so ersuchte ich einen
benachbarten Physiker, die Resultate dieser Vorrichtungen
zu prüfen. Ich hatte ihn vorher bemerken lassen, daß
sie mir Zweifel in Absicht auf die Newtonische Theo-
rie erregt hätten, und hoffte sicher, daß der erste Blick
auch in ihm die Ueberzeugung von der ich ergriffen
war, aufregen würde. Allein wie verwundert war
ich, als er zwar die Erscheinungen in der Ordnung
wie sie ihm vorgeführt wurden, mit Gefälligkeit und
Beyfall aufnahm, aber zugleich versicherte, daß diese
Phänomene bekannt und aus der Newtonischen Theo-
rie vollkommen erklärt seyen. Diese Farben gehörten
keinesweges der Gränze, sondern dem Licht ganz allein
an; die Gränze sey nur Gelegenheit, daß in dem ei-
nen Fall die weniger refrangiblen, im andern die
mehr refrangiblen Strahlen zum Vorschein kämen.
Das Weiße in der Mitte sey aber noch ein zusammen-
gesetztes, durch Brechung nicht separirtes Licht, das
aus einer ganz eigenen Vereinigung farbiger, aber
stufenweise übereinandergeschobener Lichter entspringe;
welches alles bey Newton selbst und in den nach sei-
nem Sinn verfaßten Büchern umständlich zu lesen sey.

Ich mochte dagegen nun einwenden was ich
wollte, daß nämlich das Violette nicht refrangibler sey
als das Gelbe, sondern nur, wie dieses in das Helle
so jenes in das Dunkle hineinstrahle; ich mochte anfüh-
ren, daß bey wachsender Breite der Säume das
Weiße so wenig als das Schwarze in Farben zerlegt,
sondern in dem einen Falle nur durch ein zusammen-

haͤtte ſicher fortwandeln koͤnnen; ſo erſuchte ich einen
benachbarten Phyſiker, die Reſultate dieſer Vorrichtungen
zu pruͤfen. Ich hatte ihn vorher bemerken laſſen, daß
ſie mir Zweifel in Abſicht auf die Newtoniſche Theo-
rie erregt haͤtten, und hoffte ſicher, daß der erſte Blick
auch in ihm die Ueberzeugung von der ich ergriffen
war, aufregen wuͤrde. Allein wie verwundert war
ich, als er zwar die Erſcheinungen in der Ordnung
wie ſie ihm vorgefuͤhrt wurden, mit Gefaͤlligkeit und
Beyfall aufnahm, aber zugleich verſicherte, daß dieſe
Phaͤnomene bekannt und aus der Newtoniſchen Theo-
rie vollkommen erklaͤrt ſeyen. Dieſe Farben gehoͤrten
keinesweges der Graͤnze, ſondern dem Licht ganz allein
an; die Graͤnze ſey nur Gelegenheit, daß in dem ei-
nen Fall die weniger refrangiblen, im andern die
mehr refrangiblen Strahlen zum Vorſchein kaͤmen.
Das Weiße in der Mitte ſey aber noch ein zuſammen-
geſetztes, durch Brechung nicht ſeparirtes Licht, das
aus einer ganz eigenen Vereinigung farbiger, aber
ſtufenweiſe uͤbereinandergeſchobener Lichter entſpringe;
welches alles bey Newton ſelbſt und in den nach ſei-
nem Sinn verfaßten Buͤchern umſtaͤndlich zu leſen ſey.

Ich mochte dagegen nun einwenden was ich
wollte, daß naͤmlich das Violette nicht refrangibler ſey
als das Gelbe, ſondern nur, wie dieſes in das Helle
ſo jenes in das Dunkle hineinſtrahle; ich mochte anfuͤh-
ren, daß bey wachſender Breite der Saͤume das
Weiße ſo wenig als das Schwarze in Farben zerlegt,
ſondern in dem einen Falle nur durch ein zuſammen-

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[680/0714] haͤtte ſicher fortwandeln koͤnnen; ſo erſuchte ich einen benachbarten Phyſiker, die Reſultate dieſer Vorrichtungen zu pruͤfen. Ich hatte ihn vorher bemerken laſſen, daß ſie mir Zweifel in Abſicht auf die Newtoniſche Theo- rie erregt haͤtten, und hoffte ſicher, daß der erſte Blick auch in ihm die Ueberzeugung von der ich ergriffen war, aufregen wuͤrde. Allein wie verwundert war ich, als er zwar die Erſcheinungen in der Ordnung wie ſie ihm vorgefuͤhrt wurden, mit Gefaͤlligkeit und Beyfall aufnahm, aber zugleich verſicherte, daß dieſe Phaͤnomene bekannt und aus der Newtoniſchen Theo- rie vollkommen erklaͤrt ſeyen. Dieſe Farben gehoͤrten keinesweges der Graͤnze, ſondern dem Licht ganz allein an; die Graͤnze ſey nur Gelegenheit, daß in dem ei- nen Fall die weniger refrangiblen, im andern die mehr refrangiblen Strahlen zum Vorſchein kaͤmen. Das Weiße in der Mitte ſey aber noch ein zuſammen- geſetztes, durch Brechung nicht ſeparirtes Licht, das aus einer ganz eigenen Vereinigung farbiger, aber ſtufenweiſe uͤbereinandergeſchobener Lichter entſpringe; welches alles bey Newton ſelbſt und in den nach ſei- nem Sinn verfaßten Buͤchern umſtaͤndlich zu leſen ſey. Ich mochte dagegen nun einwenden was ich wollte, daß naͤmlich das Violette nicht refrangibler ſey als das Gelbe, ſondern nur, wie dieſes in das Helle ſo jenes in das Dunkle hineinſtrahle; ich mochte anfuͤh- ren, daß bey wachſender Breite der Saͤume das Weiße ſo wenig als das Schwarze in Farben zerlegt, ſondern in dem einen Falle nur durch ein zuſammen-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 680. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/714>, abgerufen am 22.11.2024.