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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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ich mir nicht die mindeste Rechenschaft zu geben: es
war das Colorit.

Mehrere Gemälde waren in meiner Gegenwart er-
funden, componirt, die Theile, der Stellung und
Form nach, sorgfältig durchstudirt worden, und über
alles dieses konnten mir die Künstler, konnte ich mir
und ihnen Rechenschaft, ja sogar manchmal Rath er-
theilen. Kam es aber an die Färbung, so schien alles
dem Zufall überlassen zu seyn, dem Zufall der durch
einen gewissen Geschmack, einen Geschmack der durch
Gewohnheit, eine Gewohnheit die durch Vorurtheil,
ein Vorurtheil das durch Eigenheiten des Künstlers,
des Kenners, des Liebhabers bestimmt wurde. Bey den
Lebendigen war kein Trost, eben so wenig bey den Ab-
geschiedenen, keiner in den Lehrbüchern, keiner in den
Kunstwerken. Denn wie bescheiden sich über diesen
Punct z. B. Lairesse ausdrückt, kann Verwunderung
erregen. Und wie wenig sich irgend eine Maxime aus
der Färbung welche neuere Künstler in ihren Gemälden
angebracht, abstrahiren lasse, zeigt die Geschichte des
Colorits, verfaßt von einem Freunde, der schon damals
mit mir zu suchen und zu untersuchen geneigt war, und
bis jetzt diesem gemeinsam eingeschlagenen Weg auf die
löblichste Weise treu geblieben.

Je weniger mir nun bey allen Bemühungen etwas
erfreulich Belehrendes entgegenschien, destomehr brachte
ich diesen mir so wichtigen Punct überall wiederholt,
lebhaft und dringend zur Sprache, dergestalt daß ich

ich mir nicht die mindeſte Rechenſchaft zu geben: es
war das Colorit.

Mehrere Gemaͤlde waren in meiner Gegenwart er-
funden, componirt, die Theile, der Stellung und
Form nach, ſorgfaͤltig durchſtudirt worden, und uͤber
alles dieſes konnten mir die Kuͤnſtler, konnte ich mir
und ihnen Rechenſchaft, ja ſogar manchmal Rath er-
theilen. Kam es aber an die Faͤrbung, ſo ſchien alles
dem Zufall uͤberlaſſen zu ſeyn, dem Zufall der durch
einen gewiſſen Geſchmack, einen Geſchmack der durch
Gewohnheit, eine Gewohnheit die durch Vorurtheil,
ein Vorurtheil das durch Eigenheiten des Kuͤnſtlers,
des Kenners, des Liebhabers beſtimmt wurde. Bey den
Lebendigen war kein Troſt, eben ſo wenig bey den Ab-
geſchiedenen, keiner in den Lehrbuͤchern, keiner in den
Kunſtwerken. Denn wie beſcheiden ſich uͤber dieſen
Punct z. B. Laireſſe ausdruͤckt, kann Verwunderung
erregen. Und wie wenig ſich irgend eine Maxime aus
der Faͤrbung welche neuere Kuͤnſtler in ihren Gemaͤlden
angebracht, abſtrahiren laſſe, zeigt die Geſchichte des
Colorits, verfaßt von einem Freunde, der ſchon damals
mit mir zu ſuchen und zu unterſuchen geneigt war, und
bis jetzt dieſem gemeinſam eingeſchlagenen Weg auf die
loͤblichſte Weiſe treu geblieben.

Je weniger mir nun bey allen Bemuͤhungen etwas
erfreulich Belehrendes entgegenſchien, deſtomehr brachte
ich dieſen mir ſo wichtigen Punct uͤberall wiederholt,
lebhaft und dringend zur Sprache, dergeſtalt daß ich

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[671/0705] ich mir nicht die mindeſte Rechenſchaft zu geben: es war das Colorit. Mehrere Gemaͤlde waren in meiner Gegenwart er- funden, componirt, die Theile, der Stellung und Form nach, ſorgfaͤltig durchſtudirt worden, und uͤber alles dieſes konnten mir die Kuͤnſtler, konnte ich mir und ihnen Rechenſchaft, ja ſogar manchmal Rath er- theilen. Kam es aber an die Faͤrbung, ſo ſchien alles dem Zufall uͤberlaſſen zu ſeyn, dem Zufall der durch einen gewiſſen Geſchmack, einen Geſchmack der durch Gewohnheit, eine Gewohnheit die durch Vorurtheil, ein Vorurtheil das durch Eigenheiten des Kuͤnſtlers, des Kenners, des Liebhabers beſtimmt wurde. Bey den Lebendigen war kein Troſt, eben ſo wenig bey den Ab- geſchiedenen, keiner in den Lehrbuͤchern, keiner in den Kunſtwerken. Denn wie beſcheiden ſich uͤber dieſen Punct z. B. Laireſſe ausdruͤckt, kann Verwunderung erregen. Und wie wenig ſich irgend eine Maxime aus der Faͤrbung welche neuere Kuͤnſtler in ihren Gemaͤlden angebracht, abſtrahiren laſſe, zeigt die Geſchichte des Colorits, verfaßt von einem Freunde, der ſchon damals mit mir zu ſuchen und zu unterſuchen geneigt war, und bis jetzt dieſem gemeinſam eingeſchlagenen Weg auf die loͤblichſte Weiſe treu geblieben. Je weniger mir nun bey allen Bemuͤhungen etwas erfreulich Belehrendes entgegenſchien, deſtomehr brachte ich dieſen mir ſo wichtigen Punct uͤberall wiederholt, lebhaft und dringend zur Sprache, dergeſtalt daß ich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/705>, abgerufen am 22.11.2024.