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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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gleichsam selbst ein Labyrinth zu erschaffen. Dieses
wird denn in seinen letzten Kapiteln recht kraus, in-
dem er den motus rectus und contrarius, Intervalle,
Consonanzen und Dissonanzen, den modus major und
minor, Accord und Disharmonie, aneinander-
gereihte Octaven und was noch alles sonst der Musik
eigen ist, auch in der Farbenlehre und der sie anwen-
denden Malerkunst finden will.

Er muß freylich, als ein im Grunde scharfsinniger
Mann, sich zuletzt daran stoßen, daß die Malerey eine
simultane Harmonie, die Musik eine successive fordere.
Er findet natürlich die Intervalle der Farben nicht so
bestimm- und meßbar, wie die der Töne. Da er seine
Farbenscala nicht in ihr selbst abschließt, sondern sie,
statt in einem Cirkel, in einer Reihe vorstellt, um sie
an eine hellere Octave wieder anschließen zu können;
so weiß er nicht, welche er zur ersten und welche
zur letzten machen, und wie er dieses Anschließen
am natürlichsten bewirken soll. Ihm steht entgegen
daß er von einem gewissen Gelb auf geradem Wege
durch Roth und Blau hindurch niemals zu einem helleren
Gelb gelangen kann, und er muß fühlen, daß es ein
unendlicher Unterschied ist zwischen der Operation wo-
durch man eine Farbe verdünnt, und zwischen der
wodurch man zu einem höheren Tone vorschreitet.

Eben so traurig ist es anzusehen, wenn er glaubt,
man könne jede Farbe durch gewisse Modificationen in
den Minor setzen, wie man es mit den Tönen vermag,

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gleichſam ſelbſt ein Labyrinth zu erſchaffen. Dieſes
wird denn in ſeinen letzten Kapiteln recht kraus, in-
dem er den motus rectus und contrarius, Intervalle,
Conſonanzen und Diſſonanzen, den modus major und
minor, Accord und Disharmonie, aneinander-
gereihte Octaven und was noch alles ſonſt der Muſik
eigen iſt, auch in der Farbenlehre und der ſie anwen-
denden Malerkunſt finden will.

Er muß freylich, als ein im Grunde ſcharfſinniger
Mann, ſich zuletzt daran ſtoßen, daß die Malerey eine
ſimultane Harmonie, die Muſik eine ſucceſſive fordere.
Er findet natuͤrlich die Intervalle der Farben nicht ſo
beſtimm- und meßbar, wie die der Toͤne. Da er ſeine
Farbenſcala nicht in ihr ſelbſt abſchließt, ſondern ſie,
ſtatt in einem Cirkel, in einer Reihe vorſtellt, um ſie
an eine hellere Octave wieder anſchließen zu koͤnnen;
ſo weiß er nicht, welche er zur erſten und welche
zur letzten machen, und wie er dieſes Anſchließen
am natuͤrlichſten bewirken ſoll. Ihm ſteht entgegen
daß er von einem gewiſſen Gelb auf geradem Wege
durch Roth und Blau hindurch niemals zu einem helleren
Gelb gelangen kann, und er muß fuͤhlen, daß es ein
unendlicher Unterſchied iſt zwiſchen der Operation wo-
durch man eine Farbe verduͤnnt, und zwiſchen der
wodurch man zu einem hoͤheren Tone vorſchreitet.

Eben ſo traurig iſt es anzuſehen, wenn er glaubt,
man koͤnne jede Farbe durch gewiſſe Modificationen in
den Minor ſetzen, wie man es mit den Toͤnen vermag,

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[643/0677] gleichſam ſelbſt ein Labyrinth zu erſchaffen. Dieſes wird denn in ſeinen letzten Kapiteln recht kraus, in- dem er den motus rectus und contrarius, Intervalle, Conſonanzen und Diſſonanzen, den modus major und minor, Accord und Disharmonie, aneinander- gereihte Octaven und was noch alles ſonſt der Muſik eigen iſt, auch in der Farbenlehre und der ſie anwen- denden Malerkunſt finden will. Er muß freylich, als ein im Grunde ſcharfſinniger Mann, ſich zuletzt daran ſtoßen, daß die Malerey eine ſimultane Harmonie, die Muſik eine ſucceſſive fordere. Er findet natuͤrlich die Intervalle der Farben nicht ſo beſtimm- und meßbar, wie die der Toͤne. Da er ſeine Farbenſcala nicht in ihr ſelbſt abſchließt, ſondern ſie, ſtatt in einem Cirkel, in einer Reihe vorſtellt, um ſie an eine hellere Octave wieder anſchließen zu koͤnnen; ſo weiß er nicht, welche er zur erſten und welche zur letzten machen, und wie er dieſes Anſchließen am natuͤrlichſten bewirken ſoll. Ihm ſteht entgegen daß er von einem gewiſſen Gelb auf geradem Wege durch Roth und Blau hindurch niemals zu einem helleren Gelb gelangen kann, und er muß fuͤhlen, daß es ein unendlicher Unterſchied iſt zwiſchen der Operation wo- durch man eine Farbe verduͤnnt, und zwiſchen der wodurch man zu einem hoͤheren Tone vorſchreitet. Eben ſo traurig iſt es anzuſehen, wenn er glaubt, man koͤnne jede Farbe durch gewiſſe Modificationen in den Minor ſetzen, wie man es mit den Toͤnen vermag, 41 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/677>, abgerufen am 22.11.2024.