So haben wir oft genug unsern redlichen Lands- mann Klügel bewundert und gelobt, wenn wir sein Verfahren bey Uebersetzung und Supplirung der Priest- leyschen Optik mit Ruhe beobachteten. Ueberall ver- nimmt man leise Warnungen, vielleicht zu leise, als daß sie hätten können gehört werden. Klügel wieder- holt bescheiden und oft, daß alle theoretische Enuncia- tionen nur Gleichnißreden seyen. Er deutet an, daß wir nur den Widerschein und nicht das Wesen der Dinge sehen. Er bemerkt, daß die Newtonische Theo- rie durch die achromatische Erfindung wohl gar aufge- hoben seyn könnte.
Wenn es uns nicht ziemt, von seinem Hauptver- dienste, das außer unserm Gesichtskreise liegt, zu sprechen; so geben wir um so lieber ihm das Zeugniß eines vielleicht noch seltenern Verdienstes, daß ein Mann wie er, von so viel mathematischer Gewandt- heit, dem Wissenschaft und Erfahrung in solcher Breite zu Gebote standen, daß dieser eine vorurtheilsfreye verständige Uebersicht dergestalt walten ließ, daß seine wissenschaftlichen Behandlungen, sicher ohne dogmatisch, warnend ohne sceptisch zu seyn, uns mit dem Vergan- genen bekannt machen, das Gegenwärtige wohl ein- prägen, ohne den Blick für die Zukunft zu verschließen.
So haben wir oft genug unſern redlichen Lands- mann Kluͤgel bewundert und gelobt, wenn wir ſein Verfahren bey Ueberſetzung und Supplirung der Prieſt- leyſchen Optik mit Ruhe beobachteten. Ueberall ver- nimmt man leiſe Warnungen, vielleicht zu leiſe, als daß ſie haͤtten koͤnnen gehoͤrt werden. Kluͤgel wieder- holt beſcheiden und oft, daß alle theoretiſche Enuncia- tionen nur Gleichnißreden ſeyen. Er deutet an, daß wir nur den Widerſchein und nicht das Weſen der Dinge ſehen. Er bemerkt, daß die Newtoniſche Theo- rie durch die achromatiſche Erfindung wohl gar aufge- hoben ſeyn koͤnnte.
Wenn es uns nicht ziemt, von ſeinem Hauptver- dienſte, das außer unſerm Geſichtskreiſe liegt, zu ſprechen; ſo geben wir um ſo lieber ihm das Zeugniß eines vielleicht noch ſeltenern Verdienſtes, daß ein Mann wie er, von ſo viel mathematiſcher Gewandt- heit, dem Wiſſenſchaft und Erfahrung in ſolcher Breite zu Gebote ſtanden, daß dieſer eine vorurtheilsfreye verſtaͤndige Ueberſicht dergeſtalt walten ließ, daß ſeine wiſſenſchaftlichen Behandlungen, ſicher ohne dogmatiſch, warnend ohne ſceptiſch zu ſeyn, uns mit dem Vergan- genen bekannt machen, das Gegenwaͤrtige wohl ein- praͤgen, ohne den Blick fuͤr die Zukunft zu verſchließen.
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So haben wir oft genug unſern redlichen Lands-
mann Kluͤgel bewundert und gelobt, wenn wir ſein
Verfahren bey Ueberſetzung und Supplirung der Prieſt-
leyſchen Optik mit Ruhe beobachteten. Ueberall ver-
nimmt man leiſe Warnungen, vielleicht zu leiſe, als
daß ſie haͤtten koͤnnen gehoͤrt werden. Kluͤgel wieder-
holt beſcheiden und oft, daß alle theoretiſche Enuncia-
tionen nur Gleichnißreden ſeyen. Er deutet an, daß
wir nur den Widerſchein und nicht das Weſen der
Dinge ſehen. Er bemerkt, daß die Newtoniſche Theo-
rie durch die achromatiſche Erfindung wohl gar aufge-
hoben ſeyn koͤnnte.
Wenn es uns nicht ziemt, von ſeinem Hauptver-
dienſte, das außer unſerm Geſichtskreiſe liegt, zu
ſprechen; ſo geben wir um ſo lieber ihm das Zeugniß
eines vielleicht noch ſeltenern Verdienſtes, daß ein
Mann wie er, von ſo viel mathematiſcher Gewandt-
heit, dem Wiſſenſchaft und Erfahrung in ſolcher Breite
zu Gebote ſtanden, daß dieſer eine vorurtheilsfreye
verſtaͤndige Ueberſicht dergeſtalt walten ließ, daß ſeine
wiſſenſchaftlichen Behandlungen, ſicher ohne dogmatiſch,
warnend ohne ſceptiſch zu ſeyn, uns mit dem Vergan-
genen bekannt machen, das Gegenwaͤrtige wohl ein-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/625>, abgerufen am 22.11.2024.
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