Sein Farben-Clavier, das auf eine solche Ueber- einstimmung gebaut werden sollte, und woran er sein ganzes Leben hin und her versuchte, konnte freylich nicht zu Stande kommen; und doch ward die Möglich- keit und Ausführbarkeit eines solchen Farben-Claviers immer einmal wieder zur Sprache gebracht, und neue mißglückte Unternehmungen sind den alten gefolgt. Worin er sich aber vollkommen einsichtig bewies, ist seine lebhafte Controvers gegen die Newtonische falsche Darstellung der prismatischen Erscheinung. Mit mun- trer französischer Eigenthümlichkeit wagt er den Scherz: es sey dem Newtonischen Spectrum eben so gefährlich, wenn man es ohne Grün, als einer hübschen Frau, wenn man sie ohne Roth ertappe. Auch nennt er mit Recht die Newtonische Farbenlehre eine Remora aller gesunden Physik.
Seine Invectiven gegen die Newtonische Darstel- lung des Spectrums übersetzen wir um so lieber, als wir sie sämmtlich unterschreiben können. Hätte Castels Widerspruch damals gegriffen und auch nur einen Theil der gelehrten Welt überzeugt, so wären wir einer sehr beschwerlichen Mühe überhoben gewesen.
"Da ich mich gar gern zu den Gegenständen mei- ner Aufmerksamkeit zurückfinde; so war mein erster oder zweyter Schritt in dieser Laufbahn mit einem Ge- fühl von Ueberraschung und Erstaunen begleitet, wo- von ich mich noch kaum erholen kann. Das Prisma, das Herr Newton und ganz Europa in Händen gehabt
II. 34
Sein Farben-Clavier, das auf eine ſolche Ueber- einſtimmung gebaut werden ſollte, und woran er ſein ganzes Leben hin und her verſuchte, konnte freylich nicht zu Stande kommen; und doch ward die Moͤglich- keit und Ausfuͤhrbarkeit eines ſolchen Farben-Claviers immer einmal wieder zur Sprache gebracht, und neue mißgluͤckte Unternehmungen ſind den alten gefolgt. Worin er ſich aber vollkommen einſichtig bewies, iſt ſeine lebhafte Controvers gegen die Newtoniſche falſche Darſtellung der prismatiſchen Erſcheinung. Mit mun- trer franzoͤſiſcher Eigenthuͤmlichkeit wagt er den Scherz: es ſey dem Newtoniſchen Spectrum eben ſo gefaͤhrlich, wenn man es ohne Gruͤn, als einer huͤbſchen Frau, wenn man ſie ohne Roth ertappe. Auch nennt er mit Recht die Newtoniſche Farbenlehre eine Remora aller geſunden Phyſik.
Seine Invectiven gegen die Newtoniſche Darſtel- lung des Spectrums uͤberſetzen wir um ſo lieber, als wir ſie ſaͤmmtlich unterſchreiben koͤnnen. Haͤtte Caſtels Widerſpruch damals gegriffen und auch nur einen Theil der gelehrten Welt uͤberzeugt, ſo waͤren wir einer ſehr beſchwerlichen Muͤhe uͤberhoben geweſen.
„Da ich mich gar gern zu den Gegenſtaͤnden mei- ner Aufmerkſamkeit zuruͤckfinde; ſo war mein erſter oder zweyter Schritt in dieſer Laufbahn mit einem Ge- fuͤhl von Ueberraſchung und Erſtaunen begleitet, wo- von ich mich noch kaum erholen kann. Das Prisma, das Herr Newton und ganz Europa in Haͤnden gehabt
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Sein Farben-Clavier, das auf eine ſolche Ueber-
einſtimmung gebaut werden ſollte, und woran er ſein
ganzes Leben hin und her verſuchte, konnte freylich
nicht zu Stande kommen; und doch ward die Moͤglich-
keit und Ausfuͤhrbarkeit eines ſolchen Farben-Claviers
immer einmal wieder zur Sprache gebracht, und neue
mißgluͤckte Unternehmungen ſind den alten gefolgt.
Worin er ſich aber vollkommen einſichtig bewies, iſt
ſeine lebhafte Controvers gegen die Newtoniſche falſche
Darſtellung der prismatiſchen Erſcheinung. Mit mun-
trer franzoͤſiſcher Eigenthuͤmlichkeit wagt er den Scherz:
es ſey dem Newtoniſchen Spectrum eben ſo gefaͤhrlich,
wenn man es ohne Gruͤn, als einer huͤbſchen Frau,
wenn man ſie ohne Roth ertappe. Auch nennt er
mit Recht die Newtoniſche Farbenlehre eine Remora
aller geſunden Phyſik.
Seine Invectiven gegen die Newtoniſche Darſtel-
lung des Spectrums uͤberſetzen wir um ſo lieber, als
wir ſie ſaͤmmtlich unterſchreiben koͤnnen. Haͤtte Caſtels
Widerſpruch damals gegriffen und auch nur einen Theil
der gelehrten Welt uͤberzeugt, ſo waͤren wir einer ſehr
beſchwerlichen Muͤhe uͤberhoben geweſen.
„Da ich mich gar gern zu den Gegenſtaͤnden mei-
ner Aufmerkſamkeit zuruͤckfinde; ſo war mein erſter
oder zweyter Schritt in dieſer Laufbahn mit einem Ge-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/563>, abgerufen am 25.11.2024.
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