tonische Spectrum versenkt und an demselben gefesselt, gerade so wie es Newton vorzustellen beliebt.
Wenn man bedenkt, daß Mairan sich an die zwanzig Jahre mit dieser Sache, wenigstens von Zeit zu Zeit abgegeben, daß er das Phänomen selbst wie- der hervorgebracht, das Spectrum gemessen und die gefundenen Maße, auf eine sehr geschickte ja künstli- chere Art als Newton selbst, auf die Moll-Tonleiter angewendet; wenn man sieht, daß er in Nichts weder an Aufmerksamkeit, noch an Nachdenken, noch an Fleiß gespart, wie wirklich seine Ausarbeitung zierlich und allerliebst ist: so darf man es sich nicht verdrießen lassen, daß alles dieses umsonst geschehen, sondern man muß es eben als ein Beyspiel betrachten, daß falsche Annahmen so gut wie wahre, auf das genauste durchgearbeitet werden können.
Beynahe unbegreiflich jedoch bleibt es, daß Mairan, welcher das Spectrum wiederholt gemessen haben muß, nicht zufällig seine Tafel näher oder weiter vom Pris- ma gestellt hat, da er denn nothwendig hätte finden müssen, daß in keinem von beyden Fällen die Newto- nischen Maße treffen. Man kann daher wohl behaupten, daß er in der Dunkelheit seines Vorurtheils immer erst die Tafel so gerückt, bis er die Maße nach der An- gabe richtig erfunden. So muß auch sein Apparat höchst beschränkt gewesen seyn: denn er hätte bey je- der größern Oeffnung im Fensterladen und beybehalt- ner ersten Entfernung, abermals die Maße anders finden müssen.
toniſche Spectrum verſenkt und an demſelben gefeſſelt, gerade ſo wie es Newton vorzuſtellen beliebt.
Wenn man bedenkt, daß Mairan ſich an die zwanzig Jahre mit dieſer Sache, wenigſtens von Zeit zu Zeit abgegeben, daß er das Phaͤnomen ſelbſt wie- der hervorgebracht, das Spectrum gemeſſen und die gefundenen Maße, auf eine ſehr geſchickte ja kuͤnſtli- chere Art als Newton ſelbſt, auf die Moll-Tonleiter angewendet; wenn man ſieht, daß er in Nichts weder an Aufmerkſamkeit, noch an Nachdenken, noch an Fleiß geſpart, wie wirklich ſeine Ausarbeitung zierlich und allerliebſt iſt: ſo darf man es ſich nicht verdrießen laſſen, daß alles dieſes umſonſt geſchehen, ſondern man muß es eben als ein Beyſpiel betrachten, daß falſche Annahmen ſo gut wie wahre, auf das genauſte durchgearbeitet werden koͤnnen.
Beynahe unbegreiflich jedoch bleibt es, daß Mairan, welcher das Spectrum wiederholt gemeſſen haben muß, nicht zufaͤllig ſeine Tafel naͤher oder weiter vom Pris- ma geſtellt hat, da er denn nothwendig haͤtte finden muͤſſen, daß in keinem von beyden Faͤllen die Newto- niſchen Maße treffen. Man kann daher wohl behaupten, daß er in der Dunkelheit ſeines Vorurtheils immer erſt die Tafel ſo geruͤckt, bis er die Maße nach der An- gabe richtig erfunden. So muß auch ſein Apparat hoͤchſt beſchraͤnkt geweſen ſeyn: denn er haͤtte bey je- der groͤßern Oeffnung im Fenſterladen und beybehalt- ner erſten Entfernung, abermals die Maße anders finden muͤſſen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0544"n="510"/>
toniſche Spectrum verſenkt und an demſelben gefeſſelt,<lb/>
gerade ſo wie es Newton vorzuſtellen beliebt.</p><lb/><p>Wenn man bedenkt, daß Mairan ſich an die<lb/>
zwanzig Jahre mit dieſer Sache, wenigſtens von Zeit<lb/>
zu Zeit abgegeben, daß er das Phaͤnomen ſelbſt wie-<lb/>
der hervorgebracht, das Spectrum gemeſſen und die<lb/>
gefundenen Maße, auf eine ſehr geſchickte ja kuͤnſtli-<lb/>
chere Art als Newton ſelbſt, auf die Moll-Tonleiter<lb/>
angewendet; wenn man ſieht, daß er in Nichts weder<lb/>
an Aufmerkſamkeit, noch an Nachdenken, noch an Fleiß<lb/>
geſpart, wie wirklich ſeine Ausarbeitung zierlich und<lb/>
allerliebſt iſt: ſo darf man es ſich nicht verdrießen<lb/>
laſſen, daß alles dieſes umſonſt geſchehen, ſondern<lb/>
man muß es eben als ein Beyſpiel betrachten, daß<lb/>
falſche Annahmen ſo gut wie wahre, auf das genauſte<lb/>
durchgearbeitet werden koͤnnen.</p><lb/><p>Beynahe unbegreiflich jedoch bleibt es, daß Mairan,<lb/>
welcher das Spectrum wiederholt gemeſſen haben muß,<lb/>
nicht zufaͤllig ſeine Tafel naͤher oder weiter vom Pris-<lb/>
ma geſtellt hat, da er denn nothwendig haͤtte finden<lb/>
muͤſſen, daß in keinem von beyden Faͤllen die Newto-<lb/>
niſchen Maße treffen. Man kann daher wohl behaupten,<lb/>
daß er in der Dunkelheit ſeines Vorurtheils immer erſt<lb/>
die Tafel ſo geruͤckt, bis er die Maße nach der An-<lb/>
gabe richtig erfunden. So muß auch ſein Apparat<lb/>
hoͤchſt beſchraͤnkt geweſen ſeyn: denn er haͤtte bey je-<lb/>
der groͤßern Oeffnung im Fenſterladen und beybehalt-<lb/>
ner erſten Entfernung, abermals die Maße anders<lb/>
finden muͤſſen.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[510/0544]
toniſche Spectrum verſenkt und an demſelben gefeſſelt,
gerade ſo wie es Newton vorzuſtellen beliebt.
Wenn man bedenkt, daß Mairan ſich an die
zwanzig Jahre mit dieſer Sache, wenigſtens von Zeit
zu Zeit abgegeben, daß er das Phaͤnomen ſelbſt wie-
der hervorgebracht, das Spectrum gemeſſen und die
gefundenen Maße, auf eine ſehr geſchickte ja kuͤnſtli-
chere Art als Newton ſelbſt, auf die Moll-Tonleiter
angewendet; wenn man ſieht, daß er in Nichts weder
an Aufmerkſamkeit, noch an Nachdenken, noch an Fleiß
geſpart, wie wirklich ſeine Ausarbeitung zierlich und
allerliebſt iſt: ſo darf man es ſich nicht verdrießen
laſſen, daß alles dieſes umſonſt geſchehen, ſondern
man muß es eben als ein Beyſpiel betrachten, daß
falſche Annahmen ſo gut wie wahre, auf das genauſte
durchgearbeitet werden koͤnnen.
Beynahe unbegreiflich jedoch bleibt es, daß Mairan,
welcher das Spectrum wiederholt gemeſſen haben muß,
nicht zufaͤllig ſeine Tafel naͤher oder weiter vom Pris-
ma geſtellt hat, da er denn nothwendig haͤtte finden
muͤſſen, daß in keinem von beyden Faͤllen die Newto-
niſchen Maße treffen. Man kann daher wohl behaupten,
daß er in der Dunkelheit ſeines Vorurtheils immer erſt
die Tafel ſo geruͤckt, bis er die Maße nach der An-
gabe richtig erfunden. So muß auch ſein Apparat
hoͤchſt beſchraͤnkt geweſen ſeyn: denn er haͤtte bey je-
der groͤßern Oeffnung im Fenſterladen und beybehalt-
ner erſten Entfernung, abermals die Maße anders
finden muͤſſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/544>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.