Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Luft hervorbringt, deren verschiedene Maßverhältnisse
harmonische und disharmonische Töne bilden; so erfah-
ren wir doch dadurch keinesweges was der Ton sey,
und wie es zugehe, daß diese Schwingungen und ihre
Abgemessenheiten das was wir im Allgemeinen Musik
nennen, hervorbringen mögen. Wenn wir nun aber
gar diesen mechanischen Wirkungen, die wir für intelli-
gibel halten, weil wir einen gewissermaßen groben An-
stoß so zarter Erscheinungen bemerken können, zum
Gleichniß brauchen, um das was Licht und Farbe lei-
sten, uns auf eben dem Wege begreiflich zu machen;
so ist dadurch eigentlich gar nichts gethan. Statt der
Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Aether
zu supponiren, der durch die Anregung des Lichts auf
eine ähnliche Weise vibrire, bringt das Geschäft um
nichts weiter: denn freylich ist am Ende Alles Leben
und Bewegung, und beyde können wir doch nicht an-
ders gewahr werden, als daß sie sich selbst rühren und
durch Berührung das Nächste zum Fortschritt anreizen.

Wie unendlich viel ruhiger ist die Wirkung des
Lichts als die des Schalles. Eine Welt die so anhal-
tend von Schall erfüllt wäre, als sie es von Licht ist,
würde ganz unerträglich seyn.

Durch diese oder eine ähnliche Betrachtung ist wahr-
scheinlich Mallebranche, der ein sehr zart fühlender
Mann war, auf seine wunderlichen Vibrations de
pression
geführt worden, da die Wirkung des Lichts
durchaus mehr einem Druck als einem Stoß ähnlich

Luft hervorbringt, deren verſchiedene Maßverhaͤltniſſe
harmoniſche und disharmoniſche Toͤne bilden; ſo erfah-
ren wir doch dadurch keinesweges was der Ton ſey,
und wie es zugehe, daß dieſe Schwingungen und ihre
Abgemeſſenheiten das was wir im Allgemeinen Muſik
nennen, hervorbringen moͤgen. Wenn wir nun aber
gar dieſen mechaniſchen Wirkungen, die wir fuͤr intelli-
gibel halten, weil wir einen gewiſſermaßen groben An-
ſtoß ſo zarter Erſcheinungen bemerken koͤnnen, zum
Gleichniß brauchen, um das was Licht und Farbe lei-
ſten, uns auf eben dem Wege begreiflich zu machen;
ſo iſt dadurch eigentlich gar nichts gethan. Statt der
Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Aether
zu ſupponiren, der durch die Anregung des Lichts auf
eine aͤhnliche Weiſe vibrire, bringt das Geſchaͤft um
nichts weiter: denn freylich iſt am Ende Alles Leben
und Bewegung, und beyde koͤnnen wir doch nicht an-
ders gewahr werden, als daß ſie ſich ſelbſt ruͤhren und
durch Beruͤhrung das Naͤchſte zum Fortſchritt anreizen.

Wie unendlich viel ruhiger iſt die Wirkung des
Lichts als die des Schalles. Eine Welt die ſo anhal-
tend von Schall erfuͤllt waͤre, als ſie es von Licht iſt,
wuͤrde ganz unertraͤglich ſeyn.

Durch dieſe oder eine aͤhnliche Betrachtung iſt wahr-
ſcheinlich Mallebranche, der ein ſehr zart fuͤhlender
Mann war, auf ſeine wunderlichen Vibrations de
pression
gefuͤhrt worden, da die Wirkung des Lichts
durchaus mehr einem Druck als einem Stoß aͤhnlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0529" n="495"/>
Luft hervorbringt, deren ver&#x017F;chiedene Maßverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
harmoni&#x017F;che und disharmoni&#x017F;che To&#x0364;ne bilden; &#x017F;o erfah-<lb/>
ren wir doch dadurch keinesweges was der Ton &#x017F;ey,<lb/>
und wie es zugehe, daß die&#x017F;e Schwingungen und ihre<lb/>
Abgeme&#x017F;&#x017F;enheiten das was wir im Allgemeinen Mu&#x017F;ik<lb/>
nennen, hervorbringen mo&#x0364;gen. Wenn wir nun aber<lb/>
gar die&#x017F;en mechani&#x017F;chen Wirkungen, die wir fu&#x0364;r intelli-<lb/>
gibel halten, weil wir einen gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen groben An-<lb/>
&#x017F;toß &#x017F;o zarter Er&#x017F;cheinungen bemerken ko&#x0364;nnen, zum<lb/>
Gleichniß brauchen, um das was Licht und Farbe lei-<lb/>
&#x017F;ten, uns auf eben dem Wege begreiflich zu machen;<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t dadurch eigentlich gar nichts gethan. Statt der<lb/>
Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Aether<lb/>
zu &#x017F;upponiren, der durch die Anregung des Lichts auf<lb/>
eine a&#x0364;hnliche Wei&#x017F;e vibrire, bringt das Ge&#x017F;cha&#x0364;ft um<lb/>
nichts weiter: denn freylich i&#x017F;t am Ende Alles Leben<lb/>
und Bewegung, und beyde ko&#x0364;nnen wir doch nicht an-<lb/>
ders gewahr werden, als daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ru&#x0364;hren und<lb/>
durch Beru&#x0364;hrung das Na&#x0364;ch&#x017F;te zum Fort&#x017F;chritt anreizen.</p><lb/>
            <p>Wie unendlich viel ruhiger i&#x017F;t die Wirkung des<lb/>
Lichts als die des Schalles. Eine Welt die &#x017F;o anhal-<lb/>
tend von Schall erfu&#x0364;llt wa&#x0364;re, als &#x017F;ie es von Licht i&#x017F;t,<lb/>
wu&#x0364;rde ganz unertra&#x0364;glich &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Durch die&#x017F;e oder eine a&#x0364;hnliche Betrachtung i&#x017F;t wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich Mallebranche, der ein &#x017F;ehr zart fu&#x0364;hlender<lb/>
Mann war, auf &#x017F;eine wunderlichen <hi rendition="#aq">Vibrations de<lb/>
pression</hi> gefu&#x0364;hrt worden, da die Wirkung des Lichts<lb/>
durchaus mehr einem Druck als einem Stoß a&#x0364;hnlich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[495/0529] Luft hervorbringt, deren verſchiedene Maßverhaͤltniſſe harmoniſche und disharmoniſche Toͤne bilden; ſo erfah- ren wir doch dadurch keinesweges was der Ton ſey, und wie es zugehe, daß dieſe Schwingungen und ihre Abgemeſſenheiten das was wir im Allgemeinen Muſik nennen, hervorbringen moͤgen. Wenn wir nun aber gar dieſen mechaniſchen Wirkungen, die wir fuͤr intelli- gibel halten, weil wir einen gewiſſermaßen groben An- ſtoß ſo zarter Erſcheinungen bemerken koͤnnen, zum Gleichniß brauchen, um das was Licht und Farbe lei- ſten, uns auf eben dem Wege begreiflich zu machen; ſo iſt dadurch eigentlich gar nichts gethan. Statt der Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Aether zu ſupponiren, der durch die Anregung des Lichts auf eine aͤhnliche Weiſe vibrire, bringt das Geſchaͤft um nichts weiter: denn freylich iſt am Ende Alles Leben und Bewegung, und beyde koͤnnen wir doch nicht an- ders gewahr werden, als daß ſie ſich ſelbſt ruͤhren und durch Beruͤhrung das Naͤchſte zum Fortſchritt anreizen. Wie unendlich viel ruhiger iſt die Wirkung des Lichts als die des Schalles. Eine Welt die ſo anhal- tend von Schall erfuͤllt waͤre, als ſie es von Licht iſt, wuͤrde ganz unertraͤglich ſeyn. Durch dieſe oder eine aͤhnliche Betrachtung iſt wahr- ſcheinlich Mallebranche, der ein ſehr zart fuͤhlender Mann war, auf ſeine wunderlichen Vibrations de pression gefuͤhrt worden, da die Wirkung des Lichts durchaus mehr einem Druck als einem Stoß aͤhnlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/529
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/529>, abgerufen am 22.11.2024.