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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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wir meynen, soll weiterhin klar werden. Das Sichtbare
nun, von dem wir reden, ist einmal die Farbe. Diese aber
ist das, was an dem an sich Sichtbaren sich befindet. An
sich sichtbar ist, was es nicht (to logo) durch Be-
zug auf ein anderes ist, sondern den Grund des Sicht-
barseyns in sich hat. Alle Farbe aber ist ein Erregendes
des actu Durchsichtigen. Und dieß ist seine Natur. Da-
her ist ohne Licht Farbe nicht sichtbar, sondern jede Farbe
ist durchaus nur im Lichte sichtbar. Daher müssen wir
zuerst sagen, was das Licht ist.

Es giebt ein Durchsichtiges (diaphanes). Durch-
sichtig nenn' ich, was zwar sichtbar ist, aber nicht
sichtbar an sich, sondern durch eine andre Farbe.
Von der Art ist die Luft, das Wasser und mehrere
feste Körper. Denn nicht in so fern sie Wasser und
in so fern sie Luft, sind sie durchsichtig; sondern weil
eine solche Natur in ihnen ist.

Licht nun ist der actus dieses Durchsichtigen, als
Durchsichtigen. Worin es sich nur potentia befindet,
das kann auch Finsterniß seyn. Licht ist aber gleichsam
die Farbe des Durchsichtigen, wann es actu durchsich-
tig ist, es sey durchs Feuer oder durch das höchste
und letzte Element.

Was nun das Durchsichtige und was das
Licht sey, ist gesagt, daß es nicht Feuer sey, noch
überhaupt ein Körper, noch der Ausfluß irgend eines
Körpers: denn auch so würde es ein Körper seyn;
sondern Feuers oder eines Andern dergleichen Anwesen-
heit in dem Durchsichtigen. Denn zwey Körper können
nicht zugleich in Einem seyn. Das Licht ferner scheint

wir meynen, ſoll weiterhin klar werden. Das Sichtbare
nun, von dem wir reden, iſt einmal die Farbe. Dieſe aber
iſt das, was an dem an ſich Sichtbaren ſich befindet. An
ſich ſichtbar iſt, was es nicht (τῷ λόγῳ) durch Be-
zug auf ein anderes iſt, ſondern den Grund des Sicht-
barſeyns in ſich hat. Alle Farbe aber iſt ein Erregendes
des actu Durchſichtigen. Und dieß iſt ſeine Natur. Da-
her iſt ohne Licht Farbe nicht ſichtbar, ſondern jede Farbe
iſt durchaus nur im Lichte ſichtbar. Daher muͤſſen wir
zuerſt ſagen, was das Licht iſt.

Es giebt ein Durchſichtiges (διαφανές). Durch-
ſichtig nenn’ ich, was zwar ſichtbar iſt, aber nicht
ſichtbar an ſich, ſondern durch eine andre Farbe.
Von der Art iſt die Luft, das Waſſer und mehrere
feſte Koͤrper. Denn nicht in ſo fern ſie Waſſer und
in ſo fern ſie Luft, ſind ſie durchſichtig; ſondern weil
eine ſolche Natur in ihnen iſt.

Licht nun iſt der actus dieſes Durchſichtigen, als
Durchſichtigen. Worin es ſich nur potentia befindet,
das kann auch Finſterniß ſeyn. Licht iſt aber gleichſam
die Farbe des Durchſichtigen, wann es actu durchſich-
tig iſt, es ſey durchs Feuer oder durch das hoͤchſte
und letzte Element.

Was nun das Durchſichtige und was das
Licht ſey, iſt geſagt, daß es nicht Feuer ſey, noch
uͤberhaupt ein Koͤrper, noch der Ausfluß irgend eines
Koͤrpers: denn auch ſo wuͤrde es ein Koͤrper ſeyn;
ſondern Feuers oder eines Andern dergleichen Anweſen-
heit in dem Durchſichtigen. Denn zwey Koͤrper koͤnnen
nicht zugleich in Einem ſeyn. Das Licht ferner ſcheint

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[14/0048] wir meynen, ſoll weiterhin klar werden. Das Sichtbare nun, von dem wir reden, iſt einmal die Farbe. Dieſe aber iſt das, was an dem an ſich Sichtbaren ſich befindet. An ſich ſichtbar iſt, was es nicht (τῷ λόγῳ) durch Be- zug auf ein anderes iſt, ſondern den Grund des Sicht- barſeyns in ſich hat. Alle Farbe aber iſt ein Erregendes des actu Durchſichtigen. Und dieß iſt ſeine Natur. Da- her iſt ohne Licht Farbe nicht ſichtbar, ſondern jede Farbe iſt durchaus nur im Lichte ſichtbar. Daher muͤſſen wir zuerſt ſagen, was das Licht iſt. Es giebt ein Durchſichtiges (διαφανές). Durch- ſichtig nenn’ ich, was zwar ſichtbar iſt, aber nicht ſichtbar an ſich, ſondern durch eine andre Farbe. Von der Art iſt die Luft, das Waſſer und mehrere feſte Koͤrper. Denn nicht in ſo fern ſie Waſſer und in ſo fern ſie Luft, ſind ſie durchſichtig; ſondern weil eine ſolche Natur in ihnen iſt. Licht nun iſt der actus dieſes Durchſichtigen, als Durchſichtigen. Worin es ſich nur potentia befindet, das kann auch Finſterniß ſeyn. Licht iſt aber gleichſam die Farbe des Durchſichtigen, wann es actu durchſich- tig iſt, es ſey durchs Feuer oder durch das hoͤchſte und letzte Element. Was nun das Durchſichtige und was das Licht ſey, iſt geſagt, daß es nicht Feuer ſey, noch uͤberhaupt ein Koͤrper, noch der Ausfluß irgend eines Koͤrpers: denn auch ſo wuͤrde es ein Koͤrper ſeyn; ſondern Feuers oder eines Andern dergleichen Anweſen- heit in dem Durchſichtigen. Denn zwey Koͤrper koͤnnen nicht zugleich in Einem ſeyn. Das Licht ferner ſcheint

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/48>, abgerufen am 24.11.2024.