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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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im barberinischen Pallast. Ob er auch übrigens von
dem Werth und der Wirkung einer jeden Farbe allein
und im Verhältniß zu den andern, von ihrer wechsel-
seitigen Verwandtschaft oder Abneigung, von den
Regeln, nach welchen sie durch Uebergang und Gegen-
satz zu gebrauchen sind, ob er von diesem allen wissen-
schaftlich unterrichtet gewesen und mit klarem Bewußt-
seyn gehandelt, oder sich bloß seinem richtigen Gefühl
überlassen und durch praktische Ausbildung einer
vorzüglich glücklichen Naturanlage so viel zu leisten
vermocht, sind wir nicht im Stande mit völliger
Zuverlässigkeit zu entscheiden. Am wahrscheinlichsten
ist es, daß er zwar nach einigen Regeln gehandelt,
die aber nicht überall ausgereicht, und daß er als-
dann das übrige nach Gefühl und Gutdünken hin-
zugefügt habe: denn sein Verfahren in Absicht der
Vertheilung der Farben hat sich nur auf eine sehr un-
vollkommene Weise auf die Schüler fortgepflanzt.

Der vorzüglichste unter ihnen, Ciro Ferri, zeigt
zwar im Allgemeinen seiner Manier Aehnlichkeit mit
dem Geschmack seines Meisters; doch in besonderer
Hinsicht auf Harmonie der Farben verdient keines
seiner Werke als Musier angeführt zu werden.

Andrea Sacchi lebte ungefähr zu gleicher Zeit
mit Pietro von Cortona und seine Arbeiten werden
sogar wegen eines sanften Scheins und wegen Ueber-
einstimmung geschätzt und gelobt. Dieses Lob jedoch
scheint uns weniger im wirklich Harmonischen der

im barberiniſchen Pallaſt. Ob er auch uͤbrigens von
dem Werth und der Wirkung einer jeden Farbe allein
und im Verhaͤltniß zu den andern, von ihrer wechſel-
ſeitigen Verwandtſchaft oder Abneigung, von den
Regeln, nach welchen ſie durch Uebergang und Gegen-
ſatz zu gebrauchen ſind, ob er von dieſem allen wiſſen-
ſchaftlich unterrichtet geweſen und mit klarem Bewußt-
ſeyn gehandelt, oder ſich bloß ſeinem richtigen Gefuͤhl
uͤberlaſſen und durch praktiſche Ausbildung einer
vorzuͤglich gluͤcklichen Naturanlage ſo viel zu leiſten
vermocht, ſind wir nicht im Stande mit voͤlliger
Zuverlaͤſſigkeit zu entſcheiden. Am wahrſcheinlichſten
iſt es, daß er zwar nach einigen Regeln gehandelt,
die aber nicht uͤberall ausgereicht, und daß er als-
dann das uͤbrige nach Gefuͤhl und Gutduͤnken hin-
zugefuͤgt habe: denn ſein Verfahren in Abſicht der
Vertheilung der Farben hat ſich nur auf eine ſehr un-
vollkommene Weiſe auf die Schuͤler fortgepflanzt.

Der vorzuͤglichſte unter ihnen, Ciro Ferri, zeigt
zwar im Allgemeinen ſeiner Manier Aehnlichkeit mit
dem Geſchmack ſeines Meiſters; doch in beſonderer
Hinſicht auf Harmonie der Farben verdient keines
ſeiner Werke als Muſier angefuͤhrt zu werden.

Andrea Sacchi lebte ungefaͤhr zu gleicher Zeit
mit Pietro von Cortona und ſeine Arbeiten werden
ſogar wegen eines ſanften Scheins und wegen Ueber-
einſtimmung geſchaͤtzt und gelobt. Dieſes Lob jedoch
ſcheint uns weniger im wirklich Harmoniſchen der

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[370/0404] im barberiniſchen Pallaſt. Ob er auch uͤbrigens von dem Werth und der Wirkung einer jeden Farbe allein und im Verhaͤltniß zu den andern, von ihrer wechſel- ſeitigen Verwandtſchaft oder Abneigung, von den Regeln, nach welchen ſie durch Uebergang und Gegen- ſatz zu gebrauchen ſind, ob er von dieſem allen wiſſen- ſchaftlich unterrichtet geweſen und mit klarem Bewußt- ſeyn gehandelt, oder ſich bloß ſeinem richtigen Gefuͤhl uͤberlaſſen und durch praktiſche Ausbildung einer vorzuͤglich gluͤcklichen Naturanlage ſo viel zu leiſten vermocht, ſind wir nicht im Stande mit voͤlliger Zuverlaͤſſigkeit zu entſcheiden. Am wahrſcheinlichſten iſt es, daß er zwar nach einigen Regeln gehandelt, die aber nicht uͤberall ausgereicht, und daß er als- dann das uͤbrige nach Gefuͤhl und Gutduͤnken hin- zugefuͤgt habe: denn ſein Verfahren in Abſicht der Vertheilung der Farben hat ſich nur auf eine ſehr un- vollkommene Weiſe auf die Schuͤler fortgepflanzt. Der vorzuͤglichſte unter ihnen, Ciro Ferri, zeigt zwar im Allgemeinen ſeiner Manier Aehnlichkeit mit dem Geſchmack ſeines Meiſters; doch in beſonderer Hinſicht auf Harmonie der Farben verdient keines ſeiner Werke als Muſier angefuͤhrt zu werden. Andrea Sacchi lebte ungefaͤhr zu gleicher Zeit mit Pietro von Cortona und ſeine Arbeiten werden ſogar wegen eines ſanften Scheins und wegen Ueber- einſtimmung geſchaͤtzt und gelobt. Dieſes Lob jedoch ſcheint uns weniger im wirklich Harmoniſchen der

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/404>, abgerufen am 25.11.2024.