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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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als Licht, indem er dieses als sehr hoch einfallend an-
zunehmen pflegte, und als ob die Scene an einem
dunklen, von einem einzigen Strahl erleuchteten Ort
wäre. Die gemeine Wahrheit dieser Darstellungen, die
auffallende große Wirkung ihrer Beleuchtung und das
gewaltige Colorit erwarben sich lebhaften Beyfall und
manche Nachahmer. Unter diesen bemerken wir vor
andern den Joseph Ribera, genannt Spagnoletto, der
mit eben so gewaltigen Schatten, mit nicht weniger Geist
und Lebhaftigkeit und mit noch wahrhafteren Localtinten
gemalt, dessen Figuren aber ebenfalls meistentheils
aus der gemeinen Natur aufgegriffen sind, und obwohl
in sich selbst charakteristisch, doch gewöhnlich niedriger
und gemeiner als es des Künstlers Vorhaben und
Zweck erfordert hätte.

Francesco Barbieri von Cento, Quercino genannt,
wiewohl aus der Carraccischen Schule, folgte doch
der vom Carravaggio eingeführten Weise. Indessen
sind seine Gestalten, seine Darstellungen überhaupt, ja
wir dürfen sagen seine Gesinnungen edler. Eine rüh-
rende Naivetät ziert nicht selten seine kraft- und
effectvollen Werke. Das Colorit besonders betreffend
ist Quercino überhaupt, wenn nicht wahrhafter, doch
zarter und gefälliger als Carravaggio, und weil sein
Geschmack gebildeter war, so erscheinen seine besten
Werke farbenreicher und dem Auge angenehmer.

Auch der große Guido Reni bediente sich in seinen
frühern Gemälden höchst kräftiger großer Schattenpar-

als Licht, indem er dieſes als ſehr hoch einfallend an-
zunehmen pflegte, und als ob die Scene an einem
dunklen, von einem einzigen Strahl erleuchteten Ort
waͤre. Die gemeine Wahrheit dieſer Darſtellungen, die
auffallende große Wirkung ihrer Beleuchtung und das
gewaltige Colorit erwarben ſich lebhaften Beyfall und
manche Nachahmer. Unter dieſen bemerken wir vor
andern den Joſeph Ribera, genannt Spagnoletto, der
mit eben ſo gewaltigen Schatten, mit nicht weniger Geiſt
und Lebhaftigkeit und mit noch wahrhafteren Localtinten
gemalt, deſſen Figuren aber ebenfalls meiſtentheils
aus der gemeinen Natur aufgegriffen ſind, und obwohl
in ſich ſelbſt charakteriſtiſch, doch gewoͤhnlich niedriger
und gemeiner als es des Kuͤnſtlers Vorhaben und
Zweck erfordert haͤtte.

Francesco Barbieri von Cento, Quercino genannt,
wiewohl aus der Carracciſchen Schule, folgte doch
der vom Carravaggio eingefuͤhrten Weiſe. Indeſſen
ſind ſeine Geſtalten, ſeine Darſtellungen uͤberhaupt, ja
wir duͤrfen ſagen ſeine Geſinnungen edler. Eine ruͤh-
rende Naivetaͤt ziert nicht ſelten ſeine kraft- und
effectvollen Werke. Das Colorit beſonders betreffend
iſt Quercino uͤberhaupt, wenn nicht wahrhafter, doch
zarter und gefaͤlliger als Carravaggio, und weil ſein
Geſchmack gebildeter war, ſo erſcheinen ſeine beſten
Werke farbenreicher und dem Auge angenehmer.

Auch der große Guido Reni bediente ſich in ſeinen
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[364/0398] als Licht, indem er dieſes als ſehr hoch einfallend an- zunehmen pflegte, und als ob die Scene an einem dunklen, von einem einzigen Strahl erleuchteten Ort waͤre. Die gemeine Wahrheit dieſer Darſtellungen, die auffallende große Wirkung ihrer Beleuchtung und das gewaltige Colorit erwarben ſich lebhaften Beyfall und manche Nachahmer. Unter dieſen bemerken wir vor andern den Joſeph Ribera, genannt Spagnoletto, der mit eben ſo gewaltigen Schatten, mit nicht weniger Geiſt und Lebhaftigkeit und mit noch wahrhafteren Localtinten gemalt, deſſen Figuren aber ebenfalls meiſtentheils aus der gemeinen Natur aufgegriffen ſind, und obwohl in ſich ſelbſt charakteriſtiſch, doch gewoͤhnlich niedriger und gemeiner als es des Kuͤnſtlers Vorhaben und Zweck erfordert haͤtte. Francesco Barbieri von Cento, Quercino genannt, wiewohl aus der Carracciſchen Schule, folgte doch der vom Carravaggio eingefuͤhrten Weiſe. Indeſſen ſind ſeine Geſtalten, ſeine Darſtellungen uͤberhaupt, ja wir duͤrfen ſagen ſeine Geſinnungen edler. Eine ruͤh- rende Naivetaͤt ziert nicht ſelten ſeine kraft- und effectvollen Werke. Das Colorit beſonders betreffend iſt Quercino uͤberhaupt, wenn nicht wahrhafter, doch zarter und gefaͤlliger als Carravaggio, und weil ſein Geſchmack gebildeter war, ſo erſcheinen ſeine beſten Werke farbenreicher und dem Auge angenehmer. Auch der große Guido Reni bediente ſich in ſeinen fruͤhern Gemaͤlden hoͤchſt kraͤftiger großer Schattenpar-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/398>, abgerufen am 24.11.2024.