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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Aus dem Vorhergehenden hat sich gezeigt, zu wel-
chen Eigenschaften das Colorit durch die Bemühungen
der größten Meister aus der venezianischen Schule ge-
langt war. In der Carnation sind sie nie übertroffen,
ja nicht einmal erreicht worden; aber der allgemeine
Begriff von Colorit, so wie wir oben denselben mit
leichten Zügen entworfen, wurde durch die Werke des
Antonio Allegri von Correggio noch mehr erweitert.

Er malte zwar mit ausnehmend zarten, blü-
henden Tinten, konnte aber doch im Licht, weder die
Wahrheit des Tizian, noch die Glut des Giorgione er-
reichen. Sein hauptsächlichstes Studium ging auf die
Beleuchtung, auf Darstellen und zweckmäßiges Anwen-
den derselben zum gefälligen Effect, zuweilen sogar
zur hohen Bedeutung in seinen Werken. Bey keinem
Maler findet man daher so sanfte Uebergänge vom Licht
zum Schatten, so reingehaltene Massen, so durchsichti-
ge klare Schattenpartieen, keiner hat die Widerscheine so
genau beobachtet, und ferner scheint er uns der erste
gewesen zu seyn, welcher auf die Harmonie des Gan-
zen durch künstliches Nebeneinanderstellen und Entgegen-
setzen der Farben gedacht hat. Das Farbenspiel ist da-
her in seinen Werken mannigfaltiger, lebhafter und
fröhlicher als in den tizianischen, und dieses ist die
Erweiterung, welche das Colorit dem Correggio
schuldig geworden. Er wird mit Recht für das Haupt,
für den Stifter der lombardischen Malerschule angese-
hen, und diese Schule, indem ihre Künstler alle mehr
oder weniger den Correggio zum Muster genommen,

Aus dem Vorhergehenden hat ſich gezeigt, zu wel-
chen Eigenſchaften das Colorit durch die Bemuͤhungen
der groͤßten Meiſter aus der venezianiſchen Schule ge-
langt war. In der Carnation ſind ſie nie uͤbertroffen,
ja nicht einmal erreicht worden; aber der allgemeine
Begriff von Colorit, ſo wie wir oben denſelben mit
leichten Zuͤgen entworfen, wurde durch die Werke des
Antonio Allegri von Correggio noch mehr erweitert.

Er malte zwar mit ausnehmend zarten, bluͤ-
henden Tinten, konnte aber doch im Licht, weder die
Wahrheit des Tizian, noch die Glut des Giorgione er-
reichen. Sein hauptſaͤchlichſtes Studium ging auf die
Beleuchtung, auf Darſtellen und zweckmaͤßiges Anwen-
den derſelben zum gefaͤlligen Effect, zuweilen ſogar
zur hohen Bedeutung in ſeinen Werken. Bey keinem
Maler findet man daher ſo ſanfte Uebergaͤnge vom Licht
zum Schatten, ſo reingehaltene Maſſen, ſo durchſichti-
ge klare Schattenpartieen, keiner hat die Widerſcheine ſo
genau beobachtet, und ferner ſcheint er uns der erſte
geweſen zu ſeyn, welcher auf die Harmonie des Gan-
zen durch kuͤnſtliches Nebeneinanderſtellen und Entgegen-
ſetzen der Farben gedacht hat. Das Farbenſpiel iſt da-
her in ſeinen Werken mannigfaltiger, lebhafter und
froͤhlicher als in den tizianiſchen, und dieſes iſt die
Erweiterung, welche das Colorit dem Correggio
ſchuldig geworden. Er wird mit Recht fuͤr das Haupt,
fuͤr den Stifter der lombardiſchen Malerſchule angeſe-
hen, und dieſe Schule, indem ihre Kuͤnſtler alle mehr
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[360/0394] Aus dem Vorhergehenden hat ſich gezeigt, zu wel- chen Eigenſchaften das Colorit durch die Bemuͤhungen der groͤßten Meiſter aus der venezianiſchen Schule ge- langt war. In der Carnation ſind ſie nie uͤbertroffen, ja nicht einmal erreicht worden; aber der allgemeine Begriff von Colorit, ſo wie wir oben denſelben mit leichten Zuͤgen entworfen, wurde durch die Werke des Antonio Allegri von Correggio noch mehr erweitert. Er malte zwar mit ausnehmend zarten, bluͤ- henden Tinten, konnte aber doch im Licht, weder die Wahrheit des Tizian, noch die Glut des Giorgione er- reichen. Sein hauptſaͤchlichſtes Studium ging auf die Beleuchtung, auf Darſtellen und zweckmaͤßiges Anwen- den derſelben zum gefaͤlligen Effect, zuweilen ſogar zur hohen Bedeutung in ſeinen Werken. Bey keinem Maler findet man daher ſo ſanfte Uebergaͤnge vom Licht zum Schatten, ſo reingehaltene Maſſen, ſo durchſichti- ge klare Schattenpartieen, keiner hat die Widerſcheine ſo genau beobachtet, und ferner ſcheint er uns der erſte geweſen zu ſeyn, welcher auf die Harmonie des Gan- zen durch kuͤnſtliches Nebeneinanderſtellen und Entgegen- ſetzen der Farben gedacht hat. Das Farbenſpiel iſt da- her in ſeinen Werken mannigfaltiger, lebhafter und froͤhlicher als in den tizianiſchen, und dieſes iſt die Erweiterung, welche das Colorit dem Correggio ſchuldig geworden. Er wird mit Recht fuͤr das Haupt, fuͤr den Stifter der lombardiſchen Malerſchule angeſe- hen, und dieſe Schule, indem ihre Kuͤnſtler alle mehr oder weniger den Correggio zum Muſter genommen,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/394>, abgerufen am 28.11.2024.