Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

herrschende Uebereinstimmung. Sie scheint indessen nicht
sowohl aus Ueberlegung entsprossen, oder mit Bewußt-
seyn hervorgebracht, sondern aus der Naturanlage, dem
Hang dieses liebenswürdigen Malers zum Lieblichen,
Sanften, herzurühren.

Noch etwas blühender und lebhafter sind die Ge-
mälde seines Schülers Gentile da Fabriano, und schon
mehr Kraft wußte Fra Filippo Lippi den seinigen mit-
zutheilen. Doch hatten sie alle drey die von Masso-
lino und Masaccio eingeführten röthlichen Schatten
beybehalten. Beym Fra Giovanni da Fiesole trifft
man dieselben am stätigsten an. Gentile da Fabriano
ist überhaupt etwas gemäßigter darin. Fra Filippo
Lippi hat sie in vielen Bildern beynah übertrieben roth
gemacht. In andern, welche überhaupt kräftiger und
vielleicht spätre Arbeiten sind, ist er zwar mehr grau
aber auch etwas schmutzig in den Schattenpartieen.

Die Erfindung der Oelfarben, oder wenn man
einem unfruchtbaren Streit ausweichen und lieber sa-
gen will, die bessere Anwendung derselben durch Jo-
hann van Eyck, hat auf das Colorit sehr bedeutenden
Einfluß. Der Natur dieser Farben und der Behand-
lungsweise, welche sie zulassen, gemäß wurde nun alles
nach und nach weichlicher, mehr vertrieben, gesättig-
ter. Vornehmlich erhielten die Schattenpartieen mehr
Kraft, Durchsichtigkeit, Anmuth und Leben. Die Folge
hievon war, daß mehr Schatten in den Gemälden an-
gewendet wurden, woraus endlich der düstre Charakter

II. 23

herrſchende Uebereinſtimmung. Sie ſcheint indeſſen nicht
ſowohl aus Ueberlegung entſproſſen, oder mit Bewußt-
ſeyn hervorgebracht, ſondern aus der Naturanlage, dem
Hang dieſes liebenswuͤrdigen Malers zum Lieblichen,
Sanften, herzuruͤhren.

Noch etwas bluͤhender und lebhafter ſind die Ge-
maͤlde ſeines Schuͤlers Gentile da Fabriano, und ſchon
mehr Kraft wußte Fra Filippo Lippi den ſeinigen mit-
zutheilen. Doch hatten ſie alle drey die von Maſſo-
lino und Maſaccio eingefuͤhrten roͤthlichen Schatten
beybehalten. Beym Fra Giovanni da Fieſole trifft
man dieſelben am ſtaͤtigſten an. Gentile da Fabriano
iſt uͤberhaupt etwas gemaͤßigter darin. Fra Filippo
Lippi hat ſie in vielen Bildern beynah uͤbertrieben roth
gemacht. In andern, welche uͤberhaupt kraͤftiger und
vielleicht ſpaͤtre Arbeiten ſind, iſt er zwar mehr grau
aber auch etwas ſchmutzig in den Schattenpartieen.

Die Erfindung der Oelfarben, oder wenn man
einem unfruchtbaren Streit ausweichen und lieber ſa-
gen will, die beſſere Anwendung derſelben durch Jo-
hann van Eyck, hat auf das Colorit ſehr bedeutenden
Einfluß. Der Natur dieſer Farben und der Behand-
lungsweiſe, welche ſie zulaſſen, gemaͤß wurde nun alles
nach und nach weichlicher, mehr vertrieben, geſaͤttig-
ter. Vornehmlich erhielten die Schattenpartieen mehr
Kraft, Durchſichtigkeit, Anmuth und Leben. Die Folge
hievon war, daß mehr Schatten in den Gemaͤlden an-
gewendet wurden, woraus endlich der duͤſtre Charakter

II. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0387" n="353"/>
herr&#x017F;chende Ueberein&#x017F;timmung. Sie &#x017F;cheint inde&#x017F;&#x017F;en nicht<lb/>
&#x017F;owohl aus Ueberlegung ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en, oder mit Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyn hervorgebracht, &#x017F;ondern aus der Naturanlage, dem<lb/>
Hang die&#x017F;es liebenswu&#x0364;rdigen Malers zum Lieblichen,<lb/>
Sanften, herzuru&#x0364;hren.</p><lb/>
          <p>Noch etwas blu&#x0364;hender und lebhafter &#x017F;ind die Ge-<lb/>
ma&#x0364;lde &#x017F;eines Schu&#x0364;lers Gentile da Fabriano, und &#x017F;chon<lb/>
mehr Kraft wußte Fra Filippo Lippi den &#x017F;einigen mit-<lb/>
zutheilen. Doch hatten &#x017F;ie alle drey die von Ma&#x017F;&#x017F;o-<lb/>
lino und Ma&#x017F;accio eingefu&#x0364;hrten ro&#x0364;thlichen Schatten<lb/>
beybehalten. Beym Fra Giovanni da Fie&#x017F;ole trifft<lb/>
man die&#x017F;elben am &#x017F;ta&#x0364;tig&#x017F;ten an. Gentile da Fabriano<lb/>
i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt etwas gema&#x0364;ßigter darin. Fra Filippo<lb/>
Lippi hat &#x017F;ie in vielen Bildern beynah u&#x0364;bertrieben roth<lb/>
gemacht. In andern, welche u&#x0364;berhaupt kra&#x0364;ftiger und<lb/>
vielleicht &#x017F;pa&#x0364;tre Arbeiten &#x017F;ind, i&#x017F;t er zwar mehr grau<lb/>
aber auch etwas &#x017F;chmutzig in den Schattenpartieen.</p><lb/>
          <p>Die Erfindung der Oelfarben, oder wenn man<lb/>
einem unfruchtbaren Streit ausweichen und lieber &#x017F;a-<lb/>
gen will, die be&#x017F;&#x017F;ere Anwendung der&#x017F;elben durch Jo-<lb/>
hann van Eyck, hat auf das Colorit &#x017F;ehr bedeutenden<lb/>
Einfluß. Der Natur die&#x017F;er Farben und der Behand-<lb/>
lungswei&#x017F;e, welche &#x017F;ie zula&#x017F;&#x017F;en, gema&#x0364;ß wurde nun alles<lb/>
nach und nach weichlicher, mehr vertrieben, ge&#x017F;a&#x0364;ttig-<lb/>
ter. Vornehmlich erhielten die Schattenpartieen mehr<lb/>
Kraft, Durch&#x017F;ichtigkeit, Anmuth und Leben. Die Folge<lb/>
hievon war, daß mehr Schatten in den Gema&#x0364;lden an-<lb/>
gewendet wurden, woraus endlich der du&#x0364;&#x017F;tre Charakter<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> 23</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0387] herrſchende Uebereinſtimmung. Sie ſcheint indeſſen nicht ſowohl aus Ueberlegung entſproſſen, oder mit Bewußt- ſeyn hervorgebracht, ſondern aus der Naturanlage, dem Hang dieſes liebenswuͤrdigen Malers zum Lieblichen, Sanften, herzuruͤhren. Noch etwas bluͤhender und lebhafter ſind die Ge- maͤlde ſeines Schuͤlers Gentile da Fabriano, und ſchon mehr Kraft wußte Fra Filippo Lippi den ſeinigen mit- zutheilen. Doch hatten ſie alle drey die von Maſſo- lino und Maſaccio eingefuͤhrten roͤthlichen Schatten beybehalten. Beym Fra Giovanni da Fieſole trifft man dieſelben am ſtaͤtigſten an. Gentile da Fabriano iſt uͤberhaupt etwas gemaͤßigter darin. Fra Filippo Lippi hat ſie in vielen Bildern beynah uͤbertrieben roth gemacht. In andern, welche uͤberhaupt kraͤftiger und vielleicht ſpaͤtre Arbeiten ſind, iſt er zwar mehr grau aber auch etwas ſchmutzig in den Schattenpartieen. Die Erfindung der Oelfarben, oder wenn man einem unfruchtbaren Streit ausweichen und lieber ſa- gen will, die beſſere Anwendung derſelben durch Jo- hann van Eyck, hat auf das Colorit ſehr bedeutenden Einfluß. Der Natur dieſer Farben und der Behand- lungsweiſe, welche ſie zulaſſen, gemaͤß wurde nun alles nach und nach weichlicher, mehr vertrieben, geſaͤttig- ter. Vornehmlich erhielten die Schattenpartieen mehr Kraft, Durchſichtigkeit, Anmuth und Leben. Die Folge hievon war, daß mehr Schatten in den Gemaͤlden an- gewendet wurden, woraus endlich der duͤſtre Charakter II. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/387
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/387>, abgerufen am 24.11.2024.