Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

"Die Erfahrung besteht darin, daß man eine
Nacht über, eine gewisse Portion nephritischen Holzes,
mit reinem Brunnenwasser übergossen, stehen läßt und
mit diesem Aufgusse sodann ein rundes gläsernes Gefäß
anfüllt. Dieses Gefäß soll, nach dem Bericht obge-
dachter beyder Beobachter, gelb erscheinen, wenn es
sich zwischen dem Auge des Betrachters und dem äußern
Lichte befindet; blau hingegen, wenn das Auge zwischen
das Licht und die Flasche gebracht wird. Ich habe
diesen Versuch öfters und fast auf alle mögliche Weise
gemacht, ohne auch nur irgend etwas zu bemerken,
was dem Blauen sich einigermaßen näherte. Wohl zeig-
te sich das Wasser gelb, aber auch Stroh würde es gelb
machen, wenn man davon eine Infufion bereitete.
Herr Polinier, Doctor der Arzneykunst, hat mich ver-
sichert, daß er diesen Versuch gleichfalls ohne den
mindesten Erfolg vorgenommen habe. Aber wenn er
auch richtig wäre, so wäre es nichts außerordentliches:
denn gewisse kleine gläserne Geschirre, deren man sich
bedient um Confituren hinein zu thun, haben alle je-
ne Eigenschaften, welche die Herren Boyle und Pour-
chot ihrem nephritischen Holze zuschreiben. Vielleicht
kamen diese verschiedenen Farben, die sie in ihrem
Aufgusse wollen gesehen haben, bloß von der Flasche,
welche vielleicht ein Glas von der Art war wie ich
eben erwähnte; welches denn ein bedeutender Irrthum
seyn würde."


„Die Erfahrung beſteht darin, daß man eine
Nacht uͤber, eine gewiſſe Portion nephritiſchen Holzes,
mit reinem Brunnenwaſſer uͤbergoſſen, ſtehen laͤßt und
mit dieſem Aufguſſe ſodann ein rundes glaͤſernes Gefaͤß
anfuͤllt. Dieſes Gefaͤß ſoll, nach dem Bericht obge-
dachter beyder Beobachter, gelb erſcheinen, wenn es
ſich zwiſchen dem Auge des Betrachters und dem aͤußern
Lichte befindet; blau hingegen, wenn das Auge zwiſchen
das Licht und die Flaſche gebracht wird. Ich habe
dieſen Verſuch oͤfters und faſt auf alle moͤgliche Weiſe
gemacht, ohne auch nur irgend etwas zu bemerken,
was dem Blauen ſich einigermaßen naͤherte. Wohl zeig-
te ſich das Waſſer gelb, aber auch Stroh wuͤrde es gelb
machen, wenn man davon eine Infufion bereitete.
Herr Polinier, Doctor der Arzneykunſt, hat mich ver-
ſichert, daß er dieſen Verſuch gleichfalls ohne den
mindeſten Erfolg vorgenommen habe. Aber wenn er
auch richtig waͤre, ſo waͤre es nichts außerordentliches:
denn gewiſſe kleine glaͤſerne Geſchirre, deren man ſich
bedient um Confituren hinein zu thun, haben alle je-
ne Eigenſchaften, welche die Herren Boyle und Pour-
chot ihrem nephritiſchen Holze zuſchreiben. Vielleicht
kamen dieſe verſchiedenen Farben, die ſie in ihrem
Aufguſſe wollen geſehen haben, bloß von der Flaſche,
welche vielleicht ein Glas von der Art war wie ich
eben erwaͤhnte; welches denn ein bedeutender Irrthum
ſeyn wuͤrde.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0376" n="342"/>
          <p>&#x201E;Die Erfahrung be&#x017F;teht darin, daß man eine<lb/>
Nacht u&#x0364;ber, eine gewi&#x017F;&#x017F;e Portion nephriti&#x017F;chen Holzes,<lb/>
mit reinem Brunnenwa&#x017F;&#x017F;er u&#x0364;bergo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;tehen la&#x0364;ßt und<lb/>
mit die&#x017F;em Aufgu&#x017F;&#x017F;e &#x017F;odann ein rundes gla&#x0364;&#x017F;ernes Gefa&#x0364;ß<lb/>
anfu&#x0364;llt. Die&#x017F;es Gefa&#x0364;ß &#x017F;oll, nach dem Bericht obge-<lb/>
dachter beyder Beobachter, gelb er&#x017F;cheinen, wenn es<lb/>
&#x017F;ich zwi&#x017F;chen dem Auge des Betrachters und dem a&#x0364;ußern<lb/>
Lichte befindet; blau hingegen, wenn das Auge zwi&#x017F;chen<lb/>
das Licht und die Fla&#x017F;che gebracht wird. Ich habe<lb/>
die&#x017F;en Ver&#x017F;uch o&#x0364;fters und fa&#x017F;t auf alle mo&#x0364;gliche Wei&#x017F;e<lb/>
gemacht, ohne auch nur irgend etwas zu bemerken,<lb/>
was dem Blauen &#x017F;ich einigermaßen na&#x0364;herte. Wohl zeig-<lb/>
te &#x017F;ich das Wa&#x017F;&#x017F;er gelb, aber auch Stroh wu&#x0364;rde es gelb<lb/>
machen, wenn man davon eine Infufion bereitete.<lb/>
Herr Polinier, Doctor der Arzneykun&#x017F;t, hat mich ver-<lb/>
&#x017F;ichert, daß er die&#x017F;en Ver&#x017F;uch gleichfalls ohne den<lb/>
minde&#x017F;ten Erfolg vorgenommen habe. Aber wenn er<lb/>
auch richtig wa&#x0364;re, &#x017F;o wa&#x0364;re es nichts außerordentliches:<lb/>
denn gewi&#x017F;&#x017F;e kleine gla&#x0364;&#x017F;erne Ge&#x017F;chirre, deren man &#x017F;ich<lb/>
bedient um Confituren hinein zu thun, haben alle je-<lb/>
ne Eigen&#x017F;chaften, welche die Herren Boyle und Pour-<lb/>
chot ihrem nephriti&#x017F;chen Holze zu&#x017F;chreiben. Vielleicht<lb/>
kamen die&#x017F;e ver&#x017F;chiedenen Farben, die &#x017F;ie in ihrem<lb/>
Aufgu&#x017F;&#x017F;e wollen ge&#x017F;ehen haben, bloß von der Fla&#x017F;che,<lb/>
welche vielleicht ein Glas von der Art war wie ich<lb/>
eben erwa&#x0364;hnte; welches denn ein bedeutender Irrthum<lb/>
&#x017F;eyn wu&#x0364;rde.&#x201C;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0376] „Die Erfahrung beſteht darin, daß man eine Nacht uͤber, eine gewiſſe Portion nephritiſchen Holzes, mit reinem Brunnenwaſſer uͤbergoſſen, ſtehen laͤßt und mit dieſem Aufguſſe ſodann ein rundes glaͤſernes Gefaͤß anfuͤllt. Dieſes Gefaͤß ſoll, nach dem Bericht obge- dachter beyder Beobachter, gelb erſcheinen, wenn es ſich zwiſchen dem Auge des Betrachters und dem aͤußern Lichte befindet; blau hingegen, wenn das Auge zwiſchen das Licht und die Flaſche gebracht wird. Ich habe dieſen Verſuch oͤfters und faſt auf alle moͤgliche Weiſe gemacht, ohne auch nur irgend etwas zu bemerken, was dem Blauen ſich einigermaßen naͤherte. Wohl zeig- te ſich das Waſſer gelb, aber auch Stroh wuͤrde es gelb machen, wenn man davon eine Infufion bereitete. Herr Polinier, Doctor der Arzneykunſt, hat mich ver- ſichert, daß er dieſen Verſuch gleichfalls ohne den mindeſten Erfolg vorgenommen habe. Aber wenn er auch richtig waͤre, ſo waͤre es nichts außerordentliches: denn gewiſſe kleine glaͤſerne Geſchirre, deren man ſich bedient um Confituren hinein zu thun, haben alle je- ne Eigenſchaften, welche die Herren Boyle und Pour- chot ihrem nephritiſchen Holze zuſchreiben. Vielleicht kamen dieſe verſchiedenen Farben, die ſie in ihrem Aufguſſe wollen geſehen haben, bloß von der Flaſche, welche vielleicht ein Glas von der Art war wie ich eben erwaͤhnte; welches denn ein bedeutender Irrthum ſeyn wuͤrde.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/376
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/376>, abgerufen am 24.11.2024.