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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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bigen Erscheinungen von einer Verbindung des Hellen
und Dunkeln, von einer Vermählung des Lichts mit
dem Schatten, sodann die atmosphärischen von einer
Wirkung der Sonne auf Nebel und Wolken her. Al-
lein der nothwendige Gegensatz, wodurch an der einen
Seite das Gelbe, an der andern das Blaue nahe bis
an den Purpur gesteigert werden, war ihm nicht deut-
lich geworden. Er sah wohl ein, daß vom Gelben bis
zum Purpur und rückwärts eine Art von quantitati-
vem Verhältniß statt finde; aber er wollte auf eben
diesem Wege über den Purpur hinaus ins Blaue, um
so mehr als wirklich die Sonne auf der höchsten Stufe
der Mäßigung ihres Lichtes durch trübe Dünste eine
Art von bläulichem Schein anzunehmen genöthigt wer-
den kann. Allein es gelang ihm die Ableitung der
schönen Himmelsbläue nicht, und sein ganzes Werk
wird dadurch unzulänglich. Er polemisirt mit sich selbst
und andern, keineswegs zwecklos und ungeschickt, aber
weder stringent noch glücklich.

Da er sich von der quantitativen Steigerung über-
zeugt hat, so fängt er an die Farben mit Zahlen und
Brüchen auszudrücken, wodurch denn der Vortrag nur
krauser wird, ohne daß für die Behandlung selbst der
mindeste Gewinn entspränge.


bigen Erſcheinungen von einer Verbindung des Hellen
und Dunkeln, von einer Vermaͤhlung des Lichts mit
dem Schatten, ſodann die atmoſphaͤriſchen von einer
Wirkung der Sonne auf Nebel und Wolken her. Al-
lein der nothwendige Gegenſatz, wodurch an der einen
Seite das Gelbe, an der andern das Blaue nahe bis
an den Purpur geſteigert werden, war ihm nicht deut-
lich geworden. Er ſah wohl ein, daß vom Gelben bis
zum Purpur und ruͤckwaͤrts eine Art von quantitati-
vem Verhaͤltniß ſtatt finde; aber er wollte auf eben
dieſem Wege uͤber den Purpur hinaus ins Blaue, um
ſo mehr als wirklich die Sonne auf der hoͤchſten Stufe
der Maͤßigung ihres Lichtes durch truͤbe Duͤnſte eine
Art von blaͤulichem Schein anzunehmen genoͤthigt wer-
den kann. Allein es gelang ihm die Ableitung der
ſchoͤnen Himmelsblaͤue nicht, und ſein ganzes Werk
wird dadurch unzulaͤnglich. Er polemiſirt mit ſich ſelbſt
und andern, keineswegs zwecklos und ungeſchickt, aber
weder ſtringent noch gluͤcklich.

Da er ſich von der quantitativen Steigerung uͤber-
zeugt hat, ſo faͤngt er an die Farben mit Zahlen und
Bruͤchen auszudruͤcken, wodurch denn der Vortrag nur
krauſer wird, ohne daß fuͤr die Behandlung ſelbſt der
mindeſte Gewinn entſpraͤnge.


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[330/0364] bigen Erſcheinungen von einer Verbindung des Hellen und Dunkeln, von einer Vermaͤhlung des Lichts mit dem Schatten, ſodann die atmoſphaͤriſchen von einer Wirkung der Sonne auf Nebel und Wolken her. Al- lein der nothwendige Gegenſatz, wodurch an der einen Seite das Gelbe, an der andern das Blaue nahe bis an den Purpur geſteigert werden, war ihm nicht deut- lich geworden. Er ſah wohl ein, daß vom Gelben bis zum Purpur und ruͤckwaͤrts eine Art von quantitati- vem Verhaͤltniß ſtatt finde; aber er wollte auf eben dieſem Wege uͤber den Purpur hinaus ins Blaue, um ſo mehr als wirklich die Sonne auf der hoͤchſten Stufe der Maͤßigung ihres Lichtes durch truͤbe Duͤnſte eine Art von blaͤulichem Schein anzunehmen genoͤthigt wer- den kann. Allein es gelang ihm die Ableitung der ſchoͤnen Himmelsblaͤue nicht, und ſein ganzes Werk wird dadurch unzulaͤnglich. Er polemiſirt mit ſich ſelbſt und andern, keineswegs zwecklos und ungeſchickt, aber weder ſtringent noch gluͤcklich. Da er ſich von der quantitativen Steigerung uͤber- zeugt hat, ſo faͤngt er an die Farben mit Zahlen und Bruͤchen auszudruͤcken, wodurch denn der Vortrag nur krauſer wird, ohne daß fuͤr die Behandlung ſelbſt der mindeſte Gewinn entſpraͤnge.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/364>, abgerufen am 24.11.2024.