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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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ckes beraubt werde und sich im Gränzenlosen verliere,
die Natur schuldig, jenem durchsichtigen unendlichen
Mittel eine gewisse Farbe zu verleihen, auf daß der
Blick eine Gränze fände, nicht aber in Finsterniß
und Nichts ausliefe. Eine solche Farbe nun konnte
weder Weiß, Gelb noch Roth seyn, indem die-
se, als dem Licht benachbart und verwandt, einen
unterliegenden Gegenstand verlangen, um gesehen
werden zu können. Denn was nahe ist, vergleicht sich
dem Lichte, und das Fernste der Finsterniß. Deswegen
auch helle Farben, wenn man sie in einem bestimmten
Raum gewahr wird, destomehr zum Schatten und
zur Finsterniß sich neigen, jemehr sie sich vom Lichte
oder der Sehkraft entfernen. Der Blick jedoch, der
in jene unendliche ätherische Räume dringt, sollte
zuletzt begränzt werden und war sowohl wegen der
unendlichen Ferne, als wegen der unendlichen Ver-
mannigfaltigung der Luftschichten nur durch Finster-
niß zu begränzen, eine schwarze Farbe aber wollte
sich weder für die Augen, noch für die Welt schicken;
deswegen berieth sich die Natur aufs weiseste, und
zwischen den lichten Farben, dem Weißen, Gelben
und Rothen und dem eigentlich Finstern fand sich eine
Mittelfarbe, nämlich die blaue, die aus einer unglei-
chen Mischung des Lichtes und der Finsterniß be-
stand. Durch diese nun, wie durch einen höchst an-
genehmen Schatten, sollte der Blick begränzt seyn,
daß er vom Hellen nicht so sehr zerstreut, vom Finstern
nicht zu sehr zusammengezogen oder von dem Rothen
entzündet würde, und so stellte die Natur das Blaue

ckes beraubt werde und ſich im Graͤnzenloſen verliere,
die Natur ſchuldig, jenem durchſichtigen unendlichen
Mittel eine gewiſſe Farbe zu verleihen, auf daß der
Blick eine Graͤnze faͤnde, nicht aber in Finſterniß
und Nichts ausliefe. Eine ſolche Farbe nun konnte
weder Weiß, Gelb noch Roth ſeyn, indem die-
ſe, als dem Licht benachbart und verwandt, einen
unterliegenden Gegenſtand verlangen, um geſehen
werden zu koͤnnen. Denn was nahe iſt, vergleicht ſich
dem Lichte, und das Fernſte der Finſterniß. Deswegen
auch helle Farben, wenn man ſie in einem beſtimmten
Raum gewahr wird, deſtomehr zum Schatten und
zur Finſterniß ſich neigen, jemehr ſie ſich vom Lichte
oder der Sehkraft entfernen. Der Blick jedoch, der
in jene unendliche aͤtheriſche Raͤume dringt, ſollte
zuletzt begraͤnzt werden und war ſowohl wegen der
unendlichen Ferne, als wegen der unendlichen Ver-
mannigfaltigung der Luftſchichten nur durch Finſter-
niß zu begraͤnzen, eine ſchwarze Farbe aber wollte
ſich weder fuͤr die Augen, noch fuͤr die Welt ſchicken;
deswegen berieth ſich die Natur aufs weiſeſte, und
zwiſchen den lichten Farben, dem Weißen, Gelben
und Rothen und dem eigentlich Finſtern fand ſich eine
Mittelfarbe, naͤmlich die blaue, die aus einer unglei-
chen Miſchung des Lichtes und der Finſterniß be-
ſtand. Durch dieſe nun, wie durch einen hoͤchſt an-
genehmen Schatten, ſollte der Blick begraͤnzt ſeyn,
daß er vom Hellen nicht ſo ſehr zerſtreut, vom Finſtern
nicht zu ſehr zuſammengezogen oder von dem Rothen
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[282/0316] ckes beraubt werde und ſich im Graͤnzenloſen verliere, die Natur ſchuldig, jenem durchſichtigen unendlichen Mittel eine gewiſſe Farbe zu verleihen, auf daß der Blick eine Graͤnze faͤnde, nicht aber in Finſterniß und Nichts ausliefe. Eine ſolche Farbe nun konnte weder Weiß, Gelb noch Roth ſeyn, indem die- ſe, als dem Licht benachbart und verwandt, einen unterliegenden Gegenſtand verlangen, um geſehen werden zu koͤnnen. Denn was nahe iſt, vergleicht ſich dem Lichte, und das Fernſte der Finſterniß. Deswegen auch helle Farben, wenn man ſie in einem beſtimmten Raum gewahr wird, deſtomehr zum Schatten und zur Finſterniß ſich neigen, jemehr ſie ſich vom Lichte oder der Sehkraft entfernen. Der Blick jedoch, der in jene unendliche aͤtheriſche Raͤume dringt, ſollte zuletzt begraͤnzt werden und war ſowohl wegen der unendlichen Ferne, als wegen der unendlichen Ver- mannigfaltigung der Luftſchichten nur durch Finſter- niß zu begraͤnzen, eine ſchwarze Farbe aber wollte ſich weder fuͤr die Augen, noch fuͤr die Welt ſchicken; deswegen berieth ſich die Natur aufs weiſeſte, und zwiſchen den lichten Farben, dem Weißen, Gelben und Rothen und dem eigentlich Finſtern fand ſich eine Mittelfarbe, naͤmlich die blaue, die aus einer unglei- chen Miſchung des Lichtes und der Finſterniß be- ſtand. Durch dieſe nun, wie durch einen hoͤchſt an- genehmen Schatten, ſollte der Blick begraͤnzt ſeyn, daß er vom Hellen nicht ſo ſehr zerſtreut, vom Finſtern nicht zu ſehr zuſammengezogen oder von dem Rothen entzuͤndet wuͤrde, und ſo ſtellte die Natur das Blaue

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/316>, abgerufen am 25.11.2024.