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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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erlaubt; man sieht die Bedächtlichkeit eines Lehrers,
der nichts zurücklassen will. Daher ist das Werk
ausführlich, umständlich, ja überflüssig durchgearbeitet.
Betrachtet man es aber als einen Diskurs, als einen
Vortrag, so ist es, besonders Stellenweise, angenehm
und unterhaltend, und weil es uns mit Klarheit und
Genauigkeit in frühere Zeiten zurückführt, auf manche
Weise belehrend.

Hier steht die Autorität noch in ihrer völligen
Würde: die griechischen Urväter der Schulen, ihre
Nachfolger und Commentatoren, die neueren Lichter
und Forscher, ihre Lehre, ihre Controversen, bey wel-
chen ein oder der andre Theil durch Gründe begün-
stiget wird. Indessen kann man nicht läugnen, daß
der Verfasser, indem er seinem Nachfolger nichts zu
thun übrig lassen möchte, im Theoretischen sich bis
ins Kleinliche und im Practischen bis in die Künste-
ley verliert; wobey wir ihn jedoch immer als einen
ernsten und tüchtigen Mann zu schätzen haben.

Was die Farbe und das damit zunächst Ver-
wandte betrifft, so ist ihm das vom Plato sich her-
schreibende und von uns so oft urgirte Disgregiren
und Colligiren des Auges, jenes erste durch das Licht
und das Weiße, dieses letztere durch Finsterniß und
das Schwarze, wohl bekannt und merkwürdig, doch
mehr im pathologischen Sinne, in so fern das Helle
das Auge blendet, das Finstere ihm auf eine negative
Weise schadet. Der reine physiologische Sinn dieser

erlaubt; man ſieht die Bedaͤchtlichkeit eines Lehrers,
der nichts zuruͤcklaſſen will. Daher iſt das Werk
ausfuͤhrlich, umſtaͤndlich, ja uͤberfluͤſſig durchgearbeitet.
Betrachtet man es aber als einen Diskurs, als einen
Vortrag, ſo iſt es, beſonders Stellenweiſe, angenehm
und unterhaltend, und weil es uns mit Klarheit und
Genauigkeit in fruͤhere Zeiten zuruͤckfuͤhrt, auf manche
Weiſe belehrend.

Hier ſteht die Autoritaͤt noch in ihrer voͤlligen
Wuͤrde: die griechiſchen Urvaͤter der Schulen, ihre
Nachfolger und Commentatoren, die neueren Lichter
und Forſcher, ihre Lehre, ihre Controverſen, bey wel-
chen ein oder der andre Theil durch Gruͤnde beguͤn-
ſtiget wird. Indeſſen kann man nicht laͤugnen, daß
der Verfaſſer, indem er ſeinem Nachfolger nichts zu
thun uͤbrig laſſen moͤchte, im Theoretiſchen ſich bis
ins Kleinliche und im Practiſchen bis in die Kuͤnſte-
ley verliert; wobey wir ihn jedoch immer als einen
ernſten und tuͤchtigen Mann zu ſchaͤtzen haben.

Was die Farbe und das damit zunaͤchſt Ver-
wandte betrifft, ſo iſt ihm das vom Plato ſich her-
ſchreibende und von uns ſo oft urgirte Disgregiren
und Colligiren des Auges, jenes erſte durch das Licht
und das Weiße, dieſes letztere durch Finſterniß und
das Schwarze, wohl bekannt und merkwuͤrdig, doch
mehr im pathologiſchen Sinne, in ſo fern das Helle
das Auge blendet, das Finſtere ihm auf eine negative
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[265/0299] erlaubt; man ſieht die Bedaͤchtlichkeit eines Lehrers, der nichts zuruͤcklaſſen will. Daher iſt das Werk ausfuͤhrlich, umſtaͤndlich, ja uͤberfluͤſſig durchgearbeitet. Betrachtet man es aber als einen Diskurs, als einen Vortrag, ſo iſt es, beſonders Stellenweiſe, angenehm und unterhaltend, und weil es uns mit Klarheit und Genauigkeit in fruͤhere Zeiten zuruͤckfuͤhrt, auf manche Weiſe belehrend. Hier ſteht die Autoritaͤt noch in ihrer voͤlligen Wuͤrde: die griechiſchen Urvaͤter der Schulen, ihre Nachfolger und Commentatoren, die neueren Lichter und Forſcher, ihre Lehre, ihre Controverſen, bey wel- chen ein oder der andre Theil durch Gruͤnde beguͤn- ſtiget wird. Indeſſen kann man nicht laͤugnen, daß der Verfaſſer, indem er ſeinem Nachfolger nichts zu thun uͤbrig laſſen moͤchte, im Theoretiſchen ſich bis ins Kleinliche und im Practiſchen bis in die Kuͤnſte- ley verliert; wobey wir ihn jedoch immer als einen ernſten und tuͤchtigen Mann zu ſchaͤtzen haben. Was die Farbe und das damit zunaͤchſt Ver- wandte betrifft, ſo iſt ihm das vom Plato ſich her- ſchreibende und von uns ſo oft urgirte Disgregiren und Colligiren des Auges, jenes erſte durch das Licht und das Weiße, dieſes letztere durch Finſterniß und das Schwarze, wohl bekannt und merkwuͤrdig, doch mehr im pathologiſchen Sinne, in ſo fern das Helle das Auge blendet, das Finſtere ihm auf eine negative Weiſe ſchadet. Der reine phyſiologiſche Sinn dieſer

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/299>, abgerufen am 22.11.2024.