Zeiten einander voraus verkünden, auf einander hin- weisen, einander vorarbeiten. Wie umständlich und ge- nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikisire!
Eben so verhält er sich zu seinen Zeitgenossen. Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigsten Lob- sprüche, den herzlichsten Dank für die Entdeckung der Camera obscura, für die dadurch auf einmal erwei- terte Einsicht in die Gesetze des Sehens.
Wie sein Sinn, so sein Ausdruck. Geübt im Griechischen und Lateinischen fehlt es ihm an keiner Kenntniß des Alterthums, des gründlichen sowohl als des schönen, und er weiß sich nach Belieben auszu- drücken. Manchmal läßt er sich zu Unwissenden, ja zu Dummen herab; manchmal sucht er wenigstens all- gemein verständlich zu werden. Bey Erzählung von natürlichen Ereignissen ist er klar und deutlich; bald aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindrücke, entschiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann fehlt es ihm nicht an Gleichnissen, Anspielungen und classischen Stellen.
Da er die Sprache völlig in seiner Gewalt hat, so wagt er gelegentlich kühne, seltsame Ausdrücke, aber nur dann, wenn der Gegenstand ihm unerreichbar scheint. So verfährt er bey Gelegenheit der Farbe, die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil sie ihm, dem alles Maß und Zahl ist, von keiner Bedeutung seyn kann. Er bedient sich so wunderbarer Worte, um
Zeiten einander voraus verkuͤnden, auf einander hin- weiſen, einander vorarbeiten. Wie umſtaͤndlich und ge- nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikiſire!
Eben ſo verhaͤlt er ſich zu ſeinen Zeitgenoſſen. Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigſten Lob- ſpruͤche, den herzlichſten Dank fuͤr die Entdeckung der Camera obscura, fuͤr die dadurch auf einmal erwei- terte Einſicht in die Geſetze des Sehens.
Wie ſein Sinn, ſo ſein Ausdruck. Geuͤbt im Griechiſchen und Lateiniſchen fehlt es ihm an keiner Kenntniß des Alterthums, des gruͤndlichen ſowohl als des ſchoͤnen, und er weiß ſich nach Belieben auszu- druͤcken. Manchmal laͤßt er ſich zu Unwiſſenden, ja zu Dummen herab; manchmal ſucht er wenigſtens all- gemein verſtaͤndlich zu werden. Bey Erzaͤhlung von natuͤrlichen Ereigniſſen iſt er klar und deutlich; bald aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindruͤcke, entſchiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann fehlt es ihm nicht an Gleichniſſen, Anſpielungen und claſſiſchen Stellen.
Da er die Sprache voͤllig in ſeiner Gewalt hat, ſo wagt er gelegentlich kuͤhne, ſeltſame Ausdruͤcke, aber nur dann, wenn der Gegenſtand ihm unerreichbar ſcheint. So verfaͤhrt er bey Gelegenheit der Farbe, die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil ſie ihm, dem alles Maß und Zahl iſt, von keiner Bedeutung ſeyn kann. Er bedient ſich ſo wunderbarer Worte, um
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0283"n="249"/>
Zeiten einander voraus verkuͤnden, auf einander hin-<lb/>
weiſen, einander vorarbeiten. Wie umſtaͤndlich und ge-<lb/>
nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikiſire!</p><lb/><p>Eben ſo verhaͤlt er ſich zu ſeinen Zeitgenoſſen.<lb/>
Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigſten Lob-<lb/>ſpruͤche, den herzlichſten Dank fuͤr die Entdeckung der<lb/><hirendition="#aq">Camera obscura,</hi> fuͤr die dadurch auf einmal erwei-<lb/>
terte Einſicht in die Geſetze des Sehens.</p><lb/><p>Wie ſein Sinn, ſo ſein Ausdruck. Geuͤbt im<lb/>
Griechiſchen und Lateiniſchen fehlt es ihm an keiner<lb/>
Kenntniß des Alterthums, des gruͤndlichen ſowohl als<lb/>
des ſchoͤnen, und er weiß ſich nach Belieben auszu-<lb/>
druͤcken. Manchmal laͤßt er ſich zu Unwiſſenden, ja<lb/>
zu Dummen herab; manchmal ſucht er wenigſtens all-<lb/>
gemein verſtaͤndlich zu werden. Bey Erzaͤhlung von<lb/>
natuͤrlichen Ereigniſſen iſt er klar und deutlich; bald<lb/>
aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindruͤcke,<lb/>
entſchiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann<lb/>
fehlt es ihm nicht an Gleichniſſen, Anſpielungen und<lb/>
claſſiſchen Stellen.</p><lb/><p>Da er die Sprache voͤllig in ſeiner Gewalt hat,<lb/>ſo wagt er gelegentlich kuͤhne, ſeltſame Ausdruͤcke, aber<lb/>
nur dann, wenn der Gegenſtand ihm unerreichbar<lb/>ſcheint. So verfaͤhrt er bey Gelegenheit der Farbe,<lb/>
die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil ſie ihm,<lb/>
dem alles Maß und Zahl iſt, von keiner Bedeutung<lb/>ſeyn kann. Er bedient ſich ſo wunderbarer Worte, um<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[249/0283]
Zeiten einander voraus verkuͤnden, auf einander hin-
weiſen, einander vorarbeiten. Wie umſtaͤndlich und ge-
nau zeigt Keppler, daß Euklides Copernikiſire!
Eben ſo verhaͤlt er ſich zu ſeinen Zeitgenoſſen.
Dem Wilhelm Porta ertheilt er die anmuthigſten Lob-
ſpruͤche, den herzlichſten Dank fuͤr die Entdeckung der
Camera obscura, fuͤr die dadurch auf einmal erwei-
terte Einſicht in die Geſetze des Sehens.
Wie ſein Sinn, ſo ſein Ausdruck. Geuͤbt im
Griechiſchen und Lateiniſchen fehlt es ihm an keiner
Kenntniß des Alterthums, des gruͤndlichen ſowohl als
des ſchoͤnen, und er weiß ſich nach Belieben auszu-
druͤcken. Manchmal laͤßt er ſich zu Unwiſſenden, ja
zu Dummen herab; manchmal ſucht er wenigſtens all-
gemein verſtaͤndlich zu werden. Bey Erzaͤhlung von
natuͤrlichen Ereigniſſen iſt er klar und deutlich; bald
aber, wenn er wirken, wenn er lebhaftere Eindruͤcke,
entſchiedenere Theilnahme hervorbringen will, dann
fehlt es ihm nicht an Gleichniſſen, Anſpielungen und
claſſiſchen Stellen.
Da er die Sprache voͤllig in ſeiner Gewalt hat,
ſo wagt er gelegentlich kuͤhne, ſeltſame Ausdruͤcke, aber
nur dann, wenn der Gegenſtand ihm unerreichbar
ſcheint. So verfaͤhrt er bey Gelegenheit der Farbe,
die er nur im Vorbeygehen behandelt, weil ſie ihm,
dem alles Maß und Zahl iſt, von keiner Bedeutung
ſeyn kann. Er bedient ſich ſo wunderbarer Worte, um
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/283>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.