Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge- ben wir gewöhnlich nur in sofern Rechenschaft, als sie auf uns gewirkt, unsre Ausbildung entweder gefördert, oder auch sich derselben entgegengesetzt haben. Nach solchen an uns selbst gemachten Erfahrungen beurthei- len wir unsre Vorgänger, und aus diesem Gesichts- puncte möchte auch wohl dasjenige zu betrachten seyn, was wir, indem das sechzehnte Jahrhundert sich schließt und das siebzehnte anfängt, über einen bewundernswür- digen Geist mitzutheilen uns erkühnen.
Was Baco von Verulam uns hinterlassen, kann man in zwey Theile sondern. Der erste ist der histori- sche, meistens misbilligende, die bisherigen Mängel auf- deckende, die Lücken anzeigende, das Verfahren der Vorgänger scheltende Theil. Den zweyten würden wir den belehrenden nennen, den didaktisch dogmatischen, zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver- heißenden Theil.
Beyde Theile haben für uns etwas erfreuliches und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen näher bezeichnen. Im historischen ist erfreulich die Ein- sicht in das, was schon da gewesen und vorgekommen, besonders aber die große Klarheit, womit die wissen- schaftlichen Stockungen und Retardationen vorgeführt sind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche
Baco von Verulam.
Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge- ben wir gewoͤhnlich nur in ſofern Rechenſchaft, als ſie auf uns gewirkt, unſre Ausbildung entweder gefoͤrdert, oder auch ſich derſelben entgegengeſetzt haben. Nach ſolchen an uns ſelbſt gemachten Erfahrungen beurthei- len wir unſre Vorgaͤnger, und aus dieſem Geſichts- puncte moͤchte auch wohl dasjenige zu betrachten ſeyn, was wir, indem das ſechzehnte Jahrhundert ſich ſchließt und das ſiebzehnte anfaͤngt, uͤber einen bewundernswuͤr- digen Geiſt mitzutheilen uns erkuͤhnen.
Was Baco von Verulam uns hinterlaſſen, kann man in zwey Theile ſondern. Der erſte iſt der hiſtori- ſche, meiſtens misbilligende, die bisherigen Maͤngel auf- deckende, die Luͤcken anzeigende, das Verfahren der Vorgaͤnger ſcheltende Theil. Den zweyten wuͤrden wir den belehrenden nennen, den didaktiſch dogmatiſchen, zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver- heißenden Theil.
Beyde Theile haben fuͤr uns etwas erfreuliches und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen naͤher bezeichnen. Im hiſtoriſchen iſt erfreulich die Ein- ſicht in das, was ſchon da geweſen und vorgekommen, beſonders aber die große Klarheit, womit die wiſſen- ſchaftlichen Stockungen und Retardationen vorgefuͤhrt ſind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche
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Baco von Verulam.
Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge-
ben wir gewoͤhnlich nur in ſofern Rechenſchaft, als ſie
auf uns gewirkt, unſre Ausbildung entweder gefoͤrdert,
oder auch ſich derſelben entgegengeſetzt haben. Nach
ſolchen an uns ſelbſt gemachten Erfahrungen beurthei-
len wir unſre Vorgaͤnger, und aus dieſem Geſichts-
puncte moͤchte auch wohl dasjenige zu betrachten ſeyn,
was wir, indem das ſechzehnte Jahrhundert ſich ſchließt
und das ſiebzehnte anfaͤngt, uͤber einen bewundernswuͤr-
digen Geiſt mitzutheilen uns erkuͤhnen.
Was Baco von Verulam uns hinterlaſſen, kann
man in zwey Theile ſondern. Der erſte iſt der hiſtori-
ſche, meiſtens misbilligende, die bisherigen Maͤngel auf-
deckende, die Luͤcken anzeigende, das Verfahren der
Vorgaͤnger ſcheltende Theil. Den zweyten wuͤrden wir
den belehrenden nennen, den didaktiſch dogmatiſchen,
zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver-
heißenden Theil.
Beyde Theile haben fuͤr uns etwas erfreuliches
und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen
naͤher bezeichnen. Im hiſtoriſchen iſt erfreulich die Ein-
ſicht in das, was ſchon da geweſen und vorgekommen,
beſonders aber die große Klarheit, womit die wiſſen-
ſchaftlichen Stockungen und Retardationen vorgefuͤhrt
ſind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/260>, abgerufen am 21.11.2024.
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