Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
Baco von Verulam.

Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge-
ben wir gewöhnlich nur in sofern Rechenschaft, als sie
auf uns gewirkt, unsre Ausbildung entweder gefördert,
oder auch sich derselben entgegengesetzt haben. Nach
solchen an uns selbst gemachten Erfahrungen beurthei-
len wir unsre Vorgänger, und aus diesem Gesichts-
puncte möchte auch wohl dasjenige zu betrachten seyn,
was wir, indem das sechzehnte Jahrhundert sich schließt
und das siebzehnte anfängt, über einen bewundernswür-
digen Geist mitzutheilen uns erkühnen.

Was Baco von Verulam uns hinterlassen, kann
man in zwey Theile sondern. Der erste ist der histori-
sche, meistens misbilligende, die bisherigen Mängel auf-
deckende, die Lücken anzeigende, das Verfahren der
Vorgänger scheltende Theil. Den zweyten würden wir
den belehrenden nennen, den didaktisch dogmatischen,
zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver-
heißenden Theil.

Beyde Theile haben für uns etwas erfreuliches
und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen
näher bezeichnen. Im historischen ist erfreulich die Ein-
sicht in das, was schon da gewesen und vorgekommen,
besonders aber die große Klarheit, womit die wissen-
schaftlichen Stockungen und Retardationen vorgeführt
sind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche

Baco von Verulam.

Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge-
ben wir gewoͤhnlich nur in ſofern Rechenſchaft, als ſie
auf uns gewirkt, unſre Ausbildung entweder gefoͤrdert,
oder auch ſich derſelben entgegengeſetzt haben. Nach
ſolchen an uns ſelbſt gemachten Erfahrungen beurthei-
len wir unſre Vorgaͤnger, und aus dieſem Geſichts-
puncte moͤchte auch wohl dasjenige zu betrachten ſeyn,
was wir, indem das ſechzehnte Jahrhundert ſich ſchließt
und das ſiebzehnte anfaͤngt, uͤber einen bewundernswuͤr-
digen Geiſt mitzutheilen uns erkuͤhnen.

Was Baco von Verulam uns hinterlaſſen, kann
man in zwey Theile ſondern. Der erſte iſt der hiſtori-
ſche, meiſtens misbilligende, die bisherigen Maͤngel auf-
deckende, die Luͤcken anzeigende, das Verfahren der
Vorgaͤnger ſcheltende Theil. Den zweyten wuͤrden wir
den belehrenden nennen, den didaktiſch dogmatiſchen,
zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver-
heißenden Theil.

Beyde Theile haben fuͤr uns etwas erfreuliches
und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen
naͤher bezeichnen. Im hiſtoriſchen iſt erfreulich die Ein-
ſicht in das, was ſchon da geweſen und vorgekommen,
beſonders aber die große Klarheit, womit die wiſſen-
ſchaftlichen Stockungen und Retardationen vorgefuͤhrt
ſind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0260" n="226"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Baco von Verulam</hi>.</head><lb/>
          <p>Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge-<lb/>
ben wir gewo&#x0364;hnlich nur in &#x017F;ofern Rechen&#x017F;chaft, als &#x017F;ie<lb/>
auf uns gewirkt, un&#x017F;re Ausbildung entweder gefo&#x0364;rdert,<lb/>
oder auch &#x017F;ich der&#x017F;elben entgegenge&#x017F;etzt haben. Nach<lb/>
&#x017F;olchen an uns &#x017F;elb&#x017F;t gemachten Erfahrungen beurthei-<lb/>
len wir un&#x017F;re Vorga&#x0364;nger, und aus die&#x017F;em Ge&#x017F;ichts-<lb/>
puncte mo&#x0364;chte auch wohl dasjenige zu betrachten &#x017F;eyn,<lb/>
was wir, indem das &#x017F;echzehnte Jahrhundert &#x017F;ich &#x017F;chließt<lb/>
und das &#x017F;iebzehnte anfa&#x0364;ngt, u&#x0364;ber einen bewundernswu&#x0364;r-<lb/>
digen Gei&#x017F;t mitzutheilen uns erku&#x0364;hnen.</p><lb/>
          <p>Was Baco von Verulam uns hinterla&#x017F;&#x017F;en, kann<lb/>
man in zwey Theile &#x017F;ondern. Der er&#x017F;te i&#x017F;t der hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;che, mei&#x017F;tens misbilligende, die bisherigen Ma&#x0364;ngel auf-<lb/>
deckende, die Lu&#x0364;cken anzeigende, das Verfahren der<lb/>
Vorga&#x0364;nger &#x017F;cheltende Theil. Den zweyten wu&#x0364;rden wir<lb/>
den belehrenden nennen, den didakti&#x017F;ch dogmati&#x017F;chen,<lb/>
zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver-<lb/>
heißenden Theil.</p><lb/>
          <p>Beyde Theile haben fu&#x0364;r uns etwas erfreuliches<lb/>
und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen<lb/>
na&#x0364;her bezeichnen. Im hi&#x017F;tori&#x017F;chen i&#x017F;t erfreulich die Ein-<lb/>
&#x017F;icht in das, was &#x017F;chon da gewe&#x017F;en und vorgekommen,<lb/>
be&#x017F;onders aber die große Klarheit, womit die wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Stockungen und Retardationen vorgefu&#x0364;hrt<lb/>
&#x017F;ind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0260] Baco von Verulam. Von den Schriften eines bedeutenden Mannes ge- ben wir gewoͤhnlich nur in ſofern Rechenſchaft, als ſie auf uns gewirkt, unſre Ausbildung entweder gefoͤrdert, oder auch ſich derſelben entgegengeſetzt haben. Nach ſolchen an uns ſelbſt gemachten Erfahrungen beurthei- len wir unſre Vorgaͤnger, und aus dieſem Geſichts- puncte moͤchte auch wohl dasjenige zu betrachten ſeyn, was wir, indem das ſechzehnte Jahrhundert ſich ſchließt und das ſiebzehnte anfaͤngt, uͤber einen bewundernswuͤr- digen Geiſt mitzutheilen uns erkuͤhnen. Was Baco von Verulam uns hinterlaſſen, kann man in zwey Theile ſondern. Der erſte iſt der hiſtori- ſche, meiſtens misbilligende, die bisherigen Maͤngel auf- deckende, die Luͤcken anzeigende, das Verfahren der Vorgaͤnger ſcheltende Theil. Den zweyten wuͤrden wir den belehrenden nennen, den didaktiſch dogmatiſchen, zu neuen Tagewerken aufrufenden, aufregenden, ver- heißenden Theil. Beyde Theile haben fuͤr uns etwas erfreuliches und etwas unerfreuliches, das wir folgendermaßen naͤher bezeichnen. Im hiſtoriſchen iſt erfreulich die Ein- ſicht in das, was ſchon da geweſen und vorgekommen, beſonders aber die große Klarheit, womit die wiſſen- ſchaftlichen Stockungen und Retardationen vorgefuͤhrt ſind; erfreulich das Erkennen jener Vorurtheile, welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/260
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/260>, abgerufen am 21.11.2024.