Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

frisch entgegen. Freylich standen diese schriftlichen Ue-
berlieferungen von einer Seite der Natur zu nahe und
von einer andern auf einem zu hohen Puncte der glück-
lichsten Bildung, als daß die Auffinder ihnen hätten
gewachsen seyn können. Man verstand sie leider nicht
genugsam, weder ihrer Absicht nach, noch insofern
schon genug durch sie geleistet war. Was also gegen-
wärtig an ihnen geschah, war eine zwar lobenswerthe,
aber meist unfruchtbare Mühe.

Sowohl in der von Portius vorausgeschickten Vor-
rede, worin uns etwas über die Natur der Farben
versprochen wird, als auch in den Anmerkungen selbst,
welche dem Text beygefügt sind, sehen wir einen bele-
senen und zugleich in der aristotelischen Schulmethode
wohlgeübten Mann, und können ihm daher unsere Ach-
tung, so wie unsern Dank für das, was wir von
ihm lernen, nicht versagen. Allein der Gewinn, den
wir aus einem mühsamen Studium seiner Arbeit zie-
hen, ist doch nur historisch. Wir erfahren, wie die
Alten sich über diesen Gegenstand ausgedrückt, wir ver-
nehmen ihre Meynungen und Gegenmeynungen; wir
werden von mancherley Widerstreit belehrt, den unser
Autor nach seiner Art weder zu vergleichen noch zu
entscheiden sich im Stande befindet.

Von einer eigentlichen Naturanschauung ist hier
gar die Rede nicht. Das ausgesprochene Wort, die
gebildete Phrase, die mehr oder weniger zulängliche
Definition, werden zum Grund gelegt; das Original,

friſch entgegen. Freylich ſtanden dieſe ſchriftlichen Ue-
berlieferungen von einer Seite der Natur zu nahe und
von einer andern auf einem zu hohen Puncte der gluͤck-
lichſten Bildung, als daß die Auffinder ihnen haͤtten
gewachſen ſeyn koͤnnen. Man verſtand ſie leider nicht
genugſam, weder ihrer Abſicht nach, noch inſofern
ſchon genug durch ſie geleiſtet war. Was alſo gegen-
waͤrtig an ihnen geſchah, war eine zwar lobenswerthe,
aber meiſt unfruchtbare Muͤhe.

Sowohl in der von Portius vorausgeſchickten Vor-
rede, worin uns etwas uͤber die Natur der Farben
verſprochen wird, als auch in den Anmerkungen ſelbſt,
welche dem Text beygefuͤgt ſind, ſehen wir einen bele-
ſenen und zugleich in der ariſtoteliſchen Schulmethode
wohlgeuͤbten Mann, und koͤnnen ihm daher unſere Ach-
tung, ſo wie unſern Dank fuͤr das, was wir von
ihm lernen, nicht verſagen. Allein der Gewinn, den
wir aus einem muͤhſamen Studium ſeiner Arbeit zie-
hen, iſt doch nur hiſtoriſch. Wir erfahren, wie die
Alten ſich uͤber dieſen Gegenſtand ausgedruͤckt, wir ver-
nehmen ihre Meynungen und Gegenmeynungen; wir
werden von mancherley Widerſtreit belehrt, den unſer
Autor nach ſeiner Art weder zu vergleichen noch zu
entſcheiden ſich im Stande befindet.

Von einer eigentlichen Naturanſchauung iſt hier
gar die Rede nicht. Das ausgeſprochene Wort, die
gebildete Phraſe, die mehr oder weniger zulaͤngliche
Definition, werden zum Grund gelegt; das Original,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0232" n="198"/>
fri&#x017F;ch entgegen. Freylich &#x017F;tanden die&#x017F;e &#x017F;chriftlichen Ue-<lb/>
berlieferungen von einer Seite der Natur zu nahe und<lb/>
von einer andern auf einem zu hohen Puncte der glu&#x0364;ck-<lb/>
lich&#x017F;ten Bildung, als daß die Auffinder ihnen ha&#x0364;tten<lb/>
gewach&#x017F;en &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen. Man ver&#x017F;tand &#x017F;ie leider nicht<lb/>
genug&#x017F;am, weder ihrer Ab&#x017F;icht nach, noch in&#x017F;ofern<lb/>
&#x017F;chon genug durch &#x017F;ie gelei&#x017F;tet war. Was al&#x017F;o gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtig an ihnen ge&#x017F;chah, war eine zwar lobenswerthe,<lb/>
aber mei&#x017F;t unfruchtbare Mu&#x0364;he.</p><lb/>
          <p>Sowohl in der von Portius vorausge&#x017F;chickten Vor-<lb/>
rede, worin uns etwas u&#x0364;ber die Natur der Farben<lb/>
ver&#x017F;prochen wird, als auch in den Anmerkungen &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
welche dem Text beygefu&#x0364;gt &#x017F;ind, &#x017F;ehen wir einen bele-<lb/>
&#x017F;enen und zugleich in der ari&#x017F;toteli&#x017F;chen Schulmethode<lb/>
wohlgeu&#x0364;bten Mann, und ko&#x0364;nnen ihm daher un&#x017F;ere Ach-<lb/>
tung, &#x017F;o wie un&#x017F;ern Dank fu&#x0364;r das, was wir von<lb/>
ihm lernen, nicht ver&#x017F;agen. Allein der Gewinn, den<lb/>
wir aus einem mu&#x0364;h&#x017F;amen Studium &#x017F;einer Arbeit zie-<lb/>
hen, i&#x017F;t doch nur hi&#x017F;tori&#x017F;ch. Wir erfahren, wie die<lb/>
Alten &#x017F;ich u&#x0364;ber die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand ausgedru&#x0364;ckt, wir ver-<lb/>
nehmen ihre Meynungen und Gegenmeynungen; wir<lb/>
werden von mancherley Wider&#x017F;treit belehrt, den un&#x017F;er<lb/>
Autor nach &#x017F;einer Art weder zu vergleichen noch zu<lb/>
ent&#x017F;cheiden &#x017F;ich im Stande befindet.</p><lb/>
          <p>Von einer eigentlichen Naturan&#x017F;chauung i&#x017F;t hier<lb/>
gar die Rede nicht. Das ausge&#x017F;prochene Wort, die<lb/>
gebildete Phra&#x017F;e, die mehr oder weniger zula&#x0364;ngliche<lb/>
Definition, werden zum Grund gelegt; das Original,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0232] friſch entgegen. Freylich ſtanden dieſe ſchriftlichen Ue- berlieferungen von einer Seite der Natur zu nahe und von einer andern auf einem zu hohen Puncte der gluͤck- lichſten Bildung, als daß die Auffinder ihnen haͤtten gewachſen ſeyn koͤnnen. Man verſtand ſie leider nicht genugſam, weder ihrer Abſicht nach, noch inſofern ſchon genug durch ſie geleiſtet war. Was alſo gegen- waͤrtig an ihnen geſchah, war eine zwar lobenswerthe, aber meiſt unfruchtbare Muͤhe. Sowohl in der von Portius vorausgeſchickten Vor- rede, worin uns etwas uͤber die Natur der Farben verſprochen wird, als auch in den Anmerkungen ſelbſt, welche dem Text beygefuͤgt ſind, ſehen wir einen bele- ſenen und zugleich in der ariſtoteliſchen Schulmethode wohlgeuͤbten Mann, und koͤnnen ihm daher unſere Ach- tung, ſo wie unſern Dank fuͤr das, was wir von ihm lernen, nicht verſagen. Allein der Gewinn, den wir aus einem muͤhſamen Studium ſeiner Arbeit zie- hen, iſt doch nur hiſtoriſch. Wir erfahren, wie die Alten ſich uͤber dieſen Gegenſtand ausgedruͤckt, wir ver- nehmen ihre Meynungen und Gegenmeynungen; wir werden von mancherley Widerſtreit belehrt, den unſer Autor nach ſeiner Art weder zu vergleichen noch zu entſcheiden ſich im Stande befindet. Von einer eigentlichen Naturanſchauung iſt hier gar die Rede nicht. Das ausgeſprochene Wort, die gebildete Phraſe, die mehr oder weniger zulaͤngliche Definition, werden zum Grund gelegt; das Original,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/232
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/232>, abgerufen am 27.11.2024.