von hohen Dingen, von allgemeinen Anstalten die Rede ist.
Ein ausgesprochnes Wort tritt in den Kreis der übrigen, nothwendig wirkenden Naturkräfte mit ein. Es wirkt um so lebhafter, als in dem engen Raume, in welchem die Menschheit sich ergeht, die nämlichen Bedürfnisse, die nämlichen Forderungen immer wie- derkehren.
Und doch ist jede Wortüberlieferung so bedenklich. Man soll sich, heißt es, nicht an das Wort, son- dern an den Geist halten. Gewöhnlich aber vernich- tet der Geist das Wort, oder verwandelt es doch der- gestalt, daß ihm von seiner frühern Art und Bedeu- tung wenig übrig bleibt.
Wir stehen mit der Ueberlieferung beständig im Kampfe, und jene Forderung, daß wir die Erfahrung des Gegenwärtigen auf eigene Autorität machen soll- ten, ruft uns gleichfalls zu einem bedenklichen Streit auf. Und doch fühlt ein Mensch, dem eine originelle Wirksamkeit zu Theil geworden, den Beruf, diesen dop- pelten Kampf persönlich zu bestehen, der durch den Fortschritt der Wissenschaften nicht erleichtert, sondern erschwert wird. Denn es ist am Ende doch nur im-
von hohen Dingen, von allgemeinen Anſtalten die Rede iſt.
Ein ausgeſprochnes Wort tritt in den Kreis der uͤbrigen, nothwendig wirkenden Naturkraͤfte mit ein. Es wirkt um ſo lebhafter, als in dem engen Raume, in welchem die Menſchheit ſich ergeht, die naͤmlichen Beduͤrfniſſe, die naͤmlichen Forderungen immer wie- derkehren.
Und doch iſt jede Wortuͤberlieferung ſo bedenklich. Man ſoll ſich, heißt es, nicht an das Wort, ſon- dern an den Geiſt halten. Gewoͤhnlich aber vernich- tet der Geiſt das Wort, oder verwandelt es doch der- geſtalt, daß ihm von ſeiner fruͤhern Art und Bedeu- tung wenig uͤbrig bleibt.
Wir ſtehen mit der Ueberlieferung beſtaͤndig im Kampfe, und jene Forderung, daß wir die Erfahrung des Gegenwaͤrtigen auf eigene Autoritaͤt machen ſoll- ten, ruft uns gleichfalls zu einem bedenklichen Streit auf. Und doch fuͤhlt ein Menſch, dem eine originelle Wirkſamkeit zu Theil geworden, den Beruf, dieſen dop- pelten Kampf perſoͤnlich zu beſtehen, der durch den Fortſchritt der Wiſſenſchaften nicht erleichtert, ſondern erſchwert wird. Denn es iſt am Ende doch nur im-
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von hohen Dingen, von allgemeinen Anſtalten die
Rede iſt.
Ein ausgeſprochnes Wort tritt in den Kreis der
uͤbrigen, nothwendig wirkenden Naturkraͤfte mit ein.
Es wirkt um ſo lebhafter, als in dem engen Raume,
in welchem die Menſchheit ſich ergeht, die naͤmlichen
Beduͤrfniſſe, die naͤmlichen Forderungen immer wie-
derkehren.
Und doch iſt jede Wortuͤberlieferung ſo bedenklich.
Man ſoll ſich, heißt es, nicht an das Wort, ſon-
dern an den Geiſt halten. Gewoͤhnlich aber vernich-
tet der Geiſt das Wort, oder verwandelt es doch der-
geſtalt, daß ihm von ſeiner fruͤhern Art und Bedeu-
tung wenig uͤbrig bleibt.
Wir ſtehen mit der Ueberlieferung beſtaͤndig im
Kampfe, und jene Forderung, daß wir die Erfahrung
des Gegenwaͤrtigen auf eigene Autoritaͤt machen ſoll-
ten, ruft uns gleichfalls zu einem bedenklichen Streit
auf. Und doch fuͤhlt ein Menſch, dem eine originelle
Wirkſamkeit zu Theil geworden, den Beruf, dieſen dop-
pelten Kampf perſoͤnlich zu beſtehen, der durch den
Fortſchritt der Wiſſenſchaften nicht erleichtert, ſondern
erſchwert wird. Denn es iſt am Ende doch nur im-
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/169>, abgerufen am 25.11.2024.
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