gelangen, werden sich dessen auf eine lächerliche Weise bedienen; ihre Wollüste, ihre Pracht, ihre Verschwen- dung werden ungereimt und übertrieben seyn. Daher denn auch jene Lust zum Seltsamen, Unzähligen und Ungeheuern. Ihre Theater, die sich mit den Zuschau- ern drehen, das zweyte Volk von Statuen, womit die Stadt überladen war, sind wie der spätere colossale Napf, in welchem der große Fisch ganz gesotten wer- den sollte, alle Eines Ursprungs; sogar der Uebermuth und die Grausamkeit ihrer Tyrannen läuft meistens aufs Alberne hinaus.
Bloß indem man diese Betrachtungen anstellt, be- greift man, wie Seneca, der ein so bedeutendes Leben geführt, dagegen zürnen kann, daß man gute Mahl- zeiten liebt, sein Getränk dabey mit Schnee abkühlt, daß man sich des günstigen Windes bey Seeschlachten bedient, und was dergleichen Dinge mehr seyn mögen. Solche Capuzinerpredigten thun keine Wirkung, hin- dern nicht die Auflösung des Staates und können sich einer eindringenden Barbarey keinesweges entgegen- setzen.
Schließlich dürfen wir jedoch nicht verschweigen, wie er höchst liebenswürdig in seinem Vertrauen auf die Nachwelt erscheint. Alle jene verflochtenen Natur- begebenheiten, auf die er vorzüglich seine Aufmerksam- keit wendet, ängstigen ihn als eben so viele unergründ- liche Räthsel. Aufs Einfachere zu dringen, das Ein- fachste durch eine Erfahrung, in einem Versuch vor die Sinne zu stellen, die Natur durch Entwicklung zu ent-
gelangen, werden ſich deſſen auf eine laͤcherliche Weiſe bedienen; ihre Wolluͤſte, ihre Pracht, ihre Verſchwen- dung werden ungereimt und uͤbertrieben ſeyn. Daher denn auch jene Luſt zum Seltſamen, Unzaͤhligen und Ungeheuern. Ihre Theater, die ſich mit den Zuſchau- ern drehen, das zweyte Volk von Statuen, womit die Stadt uͤberladen war, ſind wie der ſpaͤtere coloſſale Napf, in welchem der große Fiſch ganz geſotten wer- den ſollte, alle Eines Urſprungs; ſogar der Uebermuth und die Grauſamkeit ihrer Tyrannen laͤuft meiſtens aufs Alberne hinaus.
Bloß indem man dieſe Betrachtungen anſtellt, be- greift man, wie Seneca, der ein ſo bedeutendes Leben gefuͤhrt, dagegen zuͤrnen kann, daß man gute Mahl- zeiten liebt, ſein Getraͤnk dabey mit Schnee abkuͤhlt, daß man ſich des guͤnſtigen Windes bey Seeſchlachten bedient, und was dergleichen Dinge mehr ſeyn moͤgen. Solche Capuzinerpredigten thun keine Wirkung, hin- dern nicht die Aufloͤſung des Staates und koͤnnen ſich einer eindringenden Barbarey keinesweges entgegen- ſetzen.
Schließlich duͤrfen wir jedoch nicht verſchweigen, wie er hoͤchſt liebenswuͤrdig in ſeinem Vertrauen auf die Nachwelt erſcheint. Alle jene verflochtenen Natur- begebenheiten, auf die er vorzuͤglich ſeine Aufmerkſam- keit wendet, aͤngſtigen ihn als eben ſo viele unergruͤnd- liche Raͤthſel. Aufs Einfachere zu dringen, das Ein- fachſte durch eine Erfahrung, in einem Verſuch vor die Sinne zu ſtellen, die Natur durch Entwicklung zu ent-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0161"n="127"/>
gelangen, werden ſich deſſen auf eine laͤcherliche Weiſe<lb/>
bedienen; ihre Wolluͤſte, ihre Pracht, ihre Verſchwen-<lb/>
dung werden ungereimt und uͤbertrieben ſeyn. Daher<lb/>
denn auch jene Luſt zum Seltſamen, Unzaͤhligen und<lb/>
Ungeheuern. Ihre Theater, die ſich mit den Zuſchau-<lb/>
ern drehen, das zweyte Volk von Statuen, womit die<lb/>
Stadt uͤberladen war, ſind wie der ſpaͤtere coloſſale<lb/>
Napf, in welchem der große Fiſch ganz geſotten wer-<lb/>
den ſollte, alle Eines Urſprungs; ſogar der Uebermuth<lb/>
und die Grauſamkeit ihrer Tyrannen laͤuft meiſtens<lb/>
aufs Alberne hinaus.</p><lb/><p>Bloß indem man dieſe Betrachtungen anſtellt, be-<lb/>
greift man, wie Seneca, der ein ſo bedeutendes Leben<lb/>
gefuͤhrt, dagegen zuͤrnen kann, daß man gute Mahl-<lb/>
zeiten liebt, ſein Getraͤnk dabey mit Schnee abkuͤhlt,<lb/>
daß man ſich des guͤnſtigen Windes bey Seeſchlachten<lb/>
bedient, und was dergleichen Dinge mehr ſeyn moͤgen.<lb/>
Solche Capuzinerpredigten thun keine Wirkung, hin-<lb/>
dern nicht die Aufloͤſung des Staates und koͤnnen ſich<lb/>
einer eindringenden Barbarey keinesweges entgegen-<lb/>ſetzen.</p><lb/><p>Schließlich duͤrfen wir jedoch nicht verſchweigen,<lb/>
wie er hoͤchſt liebenswuͤrdig in ſeinem Vertrauen auf<lb/>
die Nachwelt erſcheint. Alle jene verflochtenen Natur-<lb/>
begebenheiten, auf die er vorzuͤglich ſeine Aufmerkſam-<lb/>
keit wendet, aͤngſtigen ihn als eben ſo viele unergruͤnd-<lb/>
liche Raͤthſel. Aufs Einfachere zu dringen, das Ein-<lb/>
fachſte durch eine Erfahrung, in einem Verſuch vor die<lb/>
Sinne zu ſtellen, die Natur durch Entwicklung zu ent-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[127/0161]
gelangen, werden ſich deſſen auf eine laͤcherliche Weiſe
bedienen; ihre Wolluͤſte, ihre Pracht, ihre Verſchwen-
dung werden ungereimt und uͤbertrieben ſeyn. Daher
denn auch jene Luſt zum Seltſamen, Unzaͤhligen und
Ungeheuern. Ihre Theater, die ſich mit den Zuſchau-
ern drehen, das zweyte Volk von Statuen, womit die
Stadt uͤberladen war, ſind wie der ſpaͤtere coloſſale
Napf, in welchem der große Fiſch ganz geſotten wer-
den ſollte, alle Eines Urſprungs; ſogar der Uebermuth
und die Grauſamkeit ihrer Tyrannen laͤuft meiſtens
aufs Alberne hinaus.
Bloß indem man dieſe Betrachtungen anſtellt, be-
greift man, wie Seneca, der ein ſo bedeutendes Leben
gefuͤhrt, dagegen zuͤrnen kann, daß man gute Mahl-
zeiten liebt, ſein Getraͤnk dabey mit Schnee abkuͤhlt,
daß man ſich des guͤnſtigen Windes bey Seeſchlachten
bedient, und was dergleichen Dinge mehr ſeyn moͤgen.
Solche Capuzinerpredigten thun keine Wirkung, hin-
dern nicht die Aufloͤſung des Staates und koͤnnen ſich
einer eindringenden Barbarey keinesweges entgegen-
ſetzen.
Schließlich duͤrfen wir jedoch nicht verſchweigen,
wie er hoͤchſt liebenswuͤrdig in ſeinem Vertrauen auf
die Nachwelt erſcheint. Alle jene verflochtenen Natur-
begebenheiten, auf die er vorzuͤglich ſeine Aufmerkſam-
keit wendet, aͤngſtigen ihn als eben ſo viele unergruͤnd-
liche Raͤthſel. Aufs Einfachere zu dringen, das Ein-
fachſte durch eine Erfahrung, in einem Verſuch vor die
Sinne zu ſtellen, die Natur durch Entwicklung zu ent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/161>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.