Der Umstand, daß es ein glänzender Firniß war, durch welchen das Gemälde vor Staub und Schmutz geschützt wurde, ist nicht minder interessant, als die noch ferner hinzugefügte Anmerkung, daß das Auge die Farben oder das Gemälde wie durch Spiegelstein erblicken sollte. Es geht daraus hervor, daß Apelles auf oder über seine Malereyen einen in hohem Grade dehnbaren, nach Willkühr stärker oder schwächer aufzu- tragenden Firniß von dunkler Farbe zog, der ganz die Eigenschaft und Wirkung der in der Oelmalerey heut zu Tage angewendeten Lasurfarben, vorzüglich des Asphalts, hatte. Ob es sogar dieses Erdharz selbst, mit irgend einer Art Oel oder Gummi ver- mischt, gewesen sey, läßt sich zwar nicht unumstößlich darthun; aber es ist nicht unwahrscheinlich, da die beschriebenen Wirkungen gerade diejenigen sind, welche wir auf den vortrefflichsten Oelgemälden der vorzüg- lichsten neuern Meister in diesem Theile der Kunst er- reicht sehen.
Protogenes, des Apelles Zeitgenosse und Mitei- ferer um den höchsten Ruhm in der Malerey, scheint seine Bilder mit auffallend größerer Sorgfalt ausgear- beitet zu haben, worüber das so höchst erfreuliche Leichte, der Schein eines freyen fröhlichen Spiels, zum Theil eingebüßt werden mochte; wie wir aus dem aufbewahrten Urtheil des Apelles vermuthen kön- nen, welcher gestanden: daß Protogenes ihm selbst in allem gleich komme, ja ihn wohl noch übertreffe; nur wisse er nicht zur rechten Zeit aufzuhören. Hierauf
Der Umſtand, daß es ein glaͤnzender Firniß war, durch welchen das Gemaͤlde vor Staub und Schmutz geſchuͤtzt wurde, iſt nicht minder intereſſant, als die noch ferner hinzugefuͤgte Anmerkung, daß das Auge die Farben oder das Gemaͤlde wie durch Spiegelſtein erblicken ſollte. Es geht daraus hervor, daß Apelles auf oder uͤber ſeine Malereyen einen in hohem Grade dehnbaren, nach Willkuͤhr ſtaͤrker oder ſchwaͤcher aufzu- tragenden Firniß von dunkler Farbe zog, der ganz die Eigenſchaft und Wirkung der in der Oelmalerey heut zu Tage angewendeten Laſurfarben, vorzuͤglich des Asphalts, hatte. Ob es ſogar dieſes Erdharz ſelbſt, mit irgend einer Art Oel oder Gummi ver- miſcht, geweſen ſey, laͤßt ſich zwar nicht unumſtoͤßlich darthun; aber es iſt nicht unwahrſcheinlich, da die beſchriebenen Wirkungen gerade diejenigen ſind, welche wir auf den vortrefflichſten Oelgemaͤlden der vorzuͤg- lichſten neuern Meiſter in dieſem Theile der Kunſt er- reicht ſehen.
Protogenes, des Apelles Zeitgenoſſe und Mitei- ferer um den hoͤchſten Ruhm in der Malerey, ſcheint ſeine Bilder mit auffallend groͤßerer Sorgfalt ausgear- beitet zu haben, woruͤber das ſo hoͤchſt erfreuliche Leichte, der Schein eines freyen froͤhlichen Spiels, zum Theil eingebuͤßt werden mochte; wie wir aus dem aufbewahrten Urtheil des Apelles vermuthen koͤn- nen, welcher geſtanden: daß Protogenes ihm ſelbſt in allem gleich komme, ja ihn wohl noch uͤbertreffe; nur wiſſe er nicht zur rechten Zeit aufzuhoͤren. Hierauf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0122"n="88"/><p>Der Umſtand, daß es ein glaͤnzender Firniß war,<lb/>
durch welchen das Gemaͤlde vor Staub und Schmutz<lb/>
geſchuͤtzt wurde, iſt nicht minder intereſſant, als die<lb/>
noch ferner hinzugefuͤgte Anmerkung, daß das Auge<lb/>
die Farben oder das Gemaͤlde wie durch Spiegelſtein<lb/>
erblicken ſollte. Es geht daraus hervor, daß Apelles<lb/>
auf oder uͤber ſeine Malereyen einen in hohem Grade<lb/>
dehnbaren, nach Willkuͤhr ſtaͤrker oder ſchwaͤcher aufzu-<lb/>
tragenden Firniß von dunkler Farbe zog, der ganz<lb/>
die Eigenſchaft und Wirkung der in der Oelmalerey<lb/>
heut zu Tage angewendeten Laſurfarben, vorzuͤglich<lb/>
des Asphalts, hatte. Ob es ſogar dieſes Erdharz<lb/>ſelbſt, mit irgend einer Art Oel oder Gummi ver-<lb/>
miſcht, geweſen ſey, laͤßt ſich zwar nicht unumſtoͤßlich<lb/>
darthun; aber es iſt nicht unwahrſcheinlich, da die<lb/>
beſchriebenen Wirkungen gerade diejenigen ſind, welche<lb/>
wir auf den vortrefflichſten Oelgemaͤlden der vorzuͤg-<lb/>
lichſten neuern Meiſter in dieſem Theile der Kunſt er-<lb/>
reicht ſehen.</p><lb/><p>Protogenes, des Apelles Zeitgenoſſe und Mitei-<lb/>
ferer um den hoͤchſten Ruhm in der Malerey, ſcheint<lb/>ſeine Bilder mit auffallend groͤßerer Sorgfalt ausgear-<lb/>
beitet zu haben, woruͤber das ſo hoͤchſt erfreuliche<lb/>
Leichte, der Schein eines freyen froͤhlichen Spiels,<lb/>
zum Theil eingebuͤßt werden mochte; wie wir aus<lb/>
dem aufbewahrten Urtheil des Apelles vermuthen koͤn-<lb/>
nen, welcher geſtanden: daß Protogenes ihm ſelbſt in<lb/>
allem gleich komme, ja ihn wohl noch uͤbertreffe; nur<lb/>
wiſſe er nicht zur rechten Zeit aufzuhoͤren. Hierauf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[88/0122]
Der Umſtand, daß es ein glaͤnzender Firniß war,
durch welchen das Gemaͤlde vor Staub und Schmutz
geſchuͤtzt wurde, iſt nicht minder intereſſant, als die
noch ferner hinzugefuͤgte Anmerkung, daß das Auge
die Farben oder das Gemaͤlde wie durch Spiegelſtein
erblicken ſollte. Es geht daraus hervor, daß Apelles
auf oder uͤber ſeine Malereyen einen in hohem Grade
dehnbaren, nach Willkuͤhr ſtaͤrker oder ſchwaͤcher aufzu-
tragenden Firniß von dunkler Farbe zog, der ganz
die Eigenſchaft und Wirkung der in der Oelmalerey
heut zu Tage angewendeten Laſurfarben, vorzuͤglich
des Asphalts, hatte. Ob es ſogar dieſes Erdharz
ſelbſt, mit irgend einer Art Oel oder Gummi ver-
miſcht, geweſen ſey, laͤßt ſich zwar nicht unumſtoͤßlich
darthun; aber es iſt nicht unwahrſcheinlich, da die
beſchriebenen Wirkungen gerade diejenigen ſind, welche
wir auf den vortrefflichſten Oelgemaͤlden der vorzuͤg-
lichſten neuern Meiſter in dieſem Theile der Kunſt er-
reicht ſehen.
Protogenes, des Apelles Zeitgenoſſe und Mitei-
ferer um den hoͤchſten Ruhm in der Malerey, ſcheint
ſeine Bilder mit auffallend groͤßerer Sorgfalt ausgear-
beitet zu haben, woruͤber das ſo hoͤchſt erfreuliche
Leichte, der Schein eines freyen froͤhlichen Spiels,
zum Theil eingebuͤßt werden mochte; wie wir aus
dem aufbewahrten Urtheil des Apelles vermuthen koͤn-
nen, welcher geſtanden: daß Protogenes ihm ſelbſt in
allem gleich komme, ja ihn wohl noch uͤbertreffe; nur
wiſſe er nicht zur rechten Zeit aufzuhoͤren. Hierauf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/122>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.