ger Großheit; aber sein eigenthümliches Bestreben ging auf das Schöne. Und also mochten, nach unserm Ermessen, die Arbeiten dieses Künstlers wohl nicht fern von der höchsten in der Kunst erreichbaren Höhe gestanden haben. Im vierten Jahr der fünf und neun- zigsten Olympiade wird aller Wahrscheinlichkeit nach ei- nes der vorzüglichsten Werke von ihm verfertigt wor- den seyn, weil Plinius des Künstlers höchsten Ruhm von diesem Jahre datirt hat.
Androcydes, Eupompus, Parrhasius und Ti- manthes waren Nebenbuhler des Xeuxis, wahrschein- lich aber auch etwas jünger als derselbe. Von den beyden ersten wissen wir wenig mehr als die Namen; doch von den letztern sind umständlichere Nachrichten vorhanden, und es leidet durchaus keinen Zweifel, daß Parrhasius die Malerey vorzüglich befördert und vervollkommnet habe. Hauptsächlich mögen durch ihn die Umrisse der Figuren weicher und schwindender, die Gestalten wie mit Luft umgeben, gemalt worden seyn. Dieses zeigt, daß die Beobachtung und Nach- ahmung von Licht und Schatten bereits auf einen ho- hen Grad von Feinheit und Genauigkeit getrieben war. Daß er auch in der Wahrheit des Colorits zu einer großen Höhe gelangt sey, lernen wir aus einer andern Nachricht des Plinius, wo unter den berühmtesten Werken dieses Künstlers eines Wettläufers gedacht wird, welcher zu schwitzen schien. Es kann also kein Räthsel für uns seyn, warum Parrhasius dem Xeuxis für überlegen geachtet wurde. Er war, nach unserer
II. 6
ger Großheit; aber ſein eigenthuͤmliches Beſtreben ging auf das Schoͤne. Und alſo mochten, nach unſerm Ermeſſen, die Arbeiten dieſes Kuͤnſtlers wohl nicht fern von der hoͤchſten in der Kunſt erreichbaren Hoͤhe geſtanden haben. Im vierten Jahr der fuͤnf und neun- zigſten Olympiade wird aller Wahrſcheinlichkeit nach ei- nes der vorzuͤglichſten Werke von ihm verfertigt wor- den ſeyn, weil Plinius des Kuͤnſtlers hoͤchſten Ruhm von dieſem Jahre datirt hat.
Androcydes, Eupompus, Parrhaſius und Ti- manthes waren Nebenbuhler des Xeuxis, wahrſchein- lich aber auch etwas juͤnger als derſelbe. Von den beyden erſten wiſſen wir wenig mehr als die Namen; doch von den letztern ſind umſtaͤndlichere Nachrichten vorhanden, und es leidet durchaus keinen Zweifel, daß Parrhaſius die Malerey vorzuͤglich befoͤrdert und vervollkommnet habe. Hauptſaͤchlich moͤgen durch ihn die Umriſſe der Figuren weicher und ſchwindender, die Geſtalten wie mit Luft umgeben, gemalt worden ſeyn. Dieſes zeigt, daß die Beobachtung und Nach- ahmung von Licht und Schatten bereits auf einen ho- hen Grad von Feinheit und Genauigkeit getrieben war. Daß er auch in der Wahrheit des Colorits zu einer großen Hoͤhe gelangt ſey, lernen wir aus einer andern Nachricht des Plinius, wo unter den beruͤhmteſten Werken dieſes Kuͤnſtlers eines Wettlaͤufers gedacht wird, welcher zu ſchwitzen ſchien. Es kann alſo kein Raͤthſel fuͤr uns ſeyn, warum Parrhaſius dem Xeuxis fuͤr uͤberlegen geachtet wurde. Er war, nach unſerer
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ger Großheit; aber ſein eigenthuͤmliches Beſtreben ging
auf das Schoͤne. Und alſo mochten, nach unſerm
Ermeſſen, die Arbeiten dieſes Kuͤnſtlers wohl nicht
fern von der hoͤchſten in der Kunſt erreichbaren Hoͤhe
geſtanden haben. Im vierten Jahr der fuͤnf und neun-
zigſten Olympiade wird aller Wahrſcheinlichkeit nach ei-
nes der vorzuͤglichſten Werke von ihm verfertigt wor-
den ſeyn, weil Plinius des Kuͤnſtlers hoͤchſten Ruhm
von dieſem Jahre datirt hat.
Androcydes, Eupompus, Parrhaſius und Ti-
manthes waren Nebenbuhler des Xeuxis, wahrſchein-
lich aber auch etwas juͤnger als derſelbe. Von den
beyden erſten wiſſen wir wenig mehr als die Namen;
doch von den letztern ſind umſtaͤndlichere Nachrichten
vorhanden, und es leidet durchaus keinen Zweifel,
daß Parrhaſius die Malerey vorzuͤglich befoͤrdert und
vervollkommnet habe. Hauptſaͤchlich moͤgen durch ihn
die Umriſſe der Figuren weicher und ſchwindender,
die Geſtalten wie mit Luft umgeben, gemalt worden
ſeyn. Dieſes zeigt, daß die Beobachtung und Nach-
ahmung von Licht und Schatten bereits auf einen ho-
hen Grad von Feinheit und Genauigkeit getrieben war.
Daß er auch in der Wahrheit des Colorits zu einer
großen Hoͤhe gelangt ſey, lernen wir aus einer andern
Nachricht des Plinius, wo unter den beruͤhmteſten
Werken dieſes Kuͤnſtlers eines Wettlaͤufers gedacht
wird, welcher zu ſchwitzen ſchien. Es kann alſo kein
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/115>, abgerufen am 24.11.2024.
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