bezweckte, sondern wirklich allgemeine Zeichnung pla- stischer Gestalten auf ebener Fläche, doch ohne Begriff von Colorit, noch weniger von Licht und Schatten; welcher letzteren Erkenntniß, wie wir in der Folge se- hen werden, erst später aufgegangen ist und die Voll- endung der Malerey bewirkt hat.
Die andere und vermuthlich spätere Art der Va- senbilder, mit gelbrothen Figuren auf schwarzem Grun- de, kann den durch Kleophantus eingeführten ersten vorschreitenden Versuch, die anfängliche Andeutung der Farbe, darstellen. Denn wenn er mit zerstoße- nen Scherben malte, so muß daraus eben dieselbe Farbe entstanden seyn, die der gebrannte Thon auf nicht glasirten Gefäßen wirklich zeigt.
Wenn wir die sogenannten hetrurischen Gefäße als Darstellung der uranfänglichen Versuche in der Male- rey anführten, so würde man uns doch mißverstehen, wenn man glauben wollte, daß wir die Zeichnungen auf dergleichen Gefäßen wirklich in ein so hohes Alter- thum hinaufrücken und sie selbst als Erstlinge der Ma- lerey betrachten möchten. Wiewohl einige mit schwar- zen Figuren, uralter Schrift und unbeholfener noch roher Zeichnung, in der That sehr alt sind, und aus Zeiten herrühren können, welche von der Erfindung der auf Flächen zeichnenden Kunst bey den Griechen nicht fern gewesen. Wir aber gedenken ihrer bloß als solcher Kunstwerke, worauf die ersten ursprünglichen Arten der Malerey noch beybehalten waren, und wo- durch wir uns dieselben desto besser vorstellen können.
bezweckte, ſondern wirklich allgemeine Zeichnung pla- ſtiſcher Geſtalten auf ebener Flaͤche, doch ohne Begriff von Colorit, noch weniger von Licht und Schatten; welcher letzteren Erkenntniß, wie wir in der Folge ſe- hen werden, erſt ſpaͤter aufgegangen iſt und die Voll- endung der Malerey bewirkt hat.
Die andere und vermuthlich ſpaͤtere Art der Va- ſenbilder, mit gelbrothen Figuren auf ſchwarzem Grun- de, kann den durch Kleophantus eingefuͤhrten erſten vorſchreitenden Verſuch, die anfaͤngliche Andeutung der Farbe, darſtellen. Denn wenn er mit zerſtoße- nen Scherben malte, ſo muß daraus eben dieſelbe Farbe entſtanden ſeyn, die der gebrannte Thon auf nicht glaſirten Gefaͤßen wirklich zeigt.
Wenn wir die ſogenannten hetruriſchen Gefaͤße als Darſtellung der uranfaͤnglichen Verſuche in der Male- rey anfuͤhrten, ſo wuͤrde man uns doch mißverſtehen, wenn man glauben wollte, daß wir die Zeichnungen auf dergleichen Gefaͤßen wirklich in ein ſo hohes Alter- thum hinaufruͤcken und ſie ſelbſt als Erſtlinge der Ma- lerey betrachten moͤchten. Wiewohl einige mit ſchwar- zen Figuren, uralter Schrift und unbeholfener noch roher Zeichnung, in der That ſehr alt ſind, und aus Zeiten herruͤhren koͤnnen, welche von der Erfindung der auf Flaͤchen zeichnenden Kunſt bey den Griechen nicht fern geweſen. Wir aber gedenken ihrer bloß als ſolcher Kunſtwerke, worauf die erſten urſpruͤnglichen Arten der Malerey noch beybehalten waren, und wo- durch wir uns dieſelben deſto beſſer vorſtellen koͤnnen.
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[72/0106]
bezweckte, ſondern wirklich allgemeine Zeichnung pla-
ſtiſcher Geſtalten auf ebener Flaͤche, doch ohne Begriff
von Colorit, noch weniger von Licht und Schatten;
welcher letzteren Erkenntniß, wie wir in der Folge ſe-
hen werden, erſt ſpaͤter aufgegangen iſt und die Voll-
endung der Malerey bewirkt hat.
Die andere und vermuthlich ſpaͤtere Art der Va-
ſenbilder, mit gelbrothen Figuren auf ſchwarzem Grun-
de, kann den durch Kleophantus eingefuͤhrten erſten
vorſchreitenden Verſuch, die anfaͤngliche Andeutung
der Farbe, darſtellen. Denn wenn er mit zerſtoße-
nen Scherben malte, ſo muß daraus eben dieſelbe
Farbe entſtanden ſeyn, die der gebrannte Thon auf
nicht glaſirten Gefaͤßen wirklich zeigt.
Wenn wir die ſogenannten hetruriſchen Gefaͤße als
Darſtellung der uranfaͤnglichen Verſuche in der Male-
rey anfuͤhrten, ſo wuͤrde man uns doch mißverſtehen,
wenn man glauben wollte, daß wir die Zeichnungen
auf dergleichen Gefaͤßen wirklich in ein ſo hohes Alter-
thum hinaufruͤcken und ſie ſelbſt als Erſtlinge der Ma-
lerey betrachten moͤchten. Wiewohl einige mit ſchwar-
zen Figuren, uralter Schrift und unbeholfener noch
roher Zeichnung, in der That ſehr alt ſind, und aus
Zeiten herruͤhren koͤnnen, welche von der Erfindung
der auf Flaͤchen zeichnenden Kunſt bey den Griechen
nicht fern geweſen. Wir aber gedenken ihrer bloß als
ſolcher Kunſtwerke, worauf die erſten urſpruͤnglichen
Arten der Malerey noch beybehalten waren, und wo-
durch wir uns dieſelben deſto beſſer vorſtellen koͤnnen.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/106>, abgerufen am 25.11.2024.
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