Hier liegt eine ganz eigene Tücke im Hinterhalt, die sich auf eine Vorstellungsart bezieht, von der an einem andern Orte gehandelt werden muß, und von der wir gegenwärtig nur so viel sagen. Man kann sich ein weißes Papier im völligen Lichte denken, man kann es bey hellem Sonnenscheine in den Schatten le- gen, man kann sich ferner denken, daß der Tag nach und nach abnimmt, daß es Nacht wird, und daß das weiße Papier vor unsern Augen zuletzt in der Finster- niß verschwindet. Die Wirksamkeit des Lichtes wird nach und nach gedämpft und so die Gegenwirkung des Papieres, und wir können uns in diesem Sinne vor- stellen, daß das Weiße nach und nach in das Schwarze übergehe. Man kann jedoch sagen, daß der Gang des Phänomens dynamischer idealer Natur ist.
582.
Ganz entgegengesetzt ist der Fall, wenn wir uns ein weißes Papier im Lichte denken und ziehen erst eine dünne schwarze Tinktur darüber. Wir verdopplen, wir verdreyfachen den Ueberzug, so daß das Papier immer dunkler Grau wird, bis wir es zuletzt so schwarz als möglich färben, so daß von der weißen Unterlage nichts mehr hindurchscheint. Wir haben hier auf dem ato- mistischen, technischen Weg eine reale Finsterniß über das Papier verbreitet, welche durch auffallendes Licht wohl einigermaßen bedingt und gemildert, keinesweges aber aufgehoben werden kann. Nun sucht sich aber unser
I. 39
581.
Hier liegt eine ganz eigene Tuͤcke im Hinterhalt, die ſich auf eine Vorſtellungsart bezieht, von der an einem andern Orte gehandelt werden muß, und von der wir gegenwaͤrtig nur ſo viel ſagen. Man kann ſich ein weißes Papier im voͤlligen Lichte denken, man kann es bey hellem Sonnenſcheine in den Schatten le- gen, man kann ſich ferner denken, daß der Tag nach und nach abnimmt, daß es Nacht wird, und daß das weiße Papier vor unſern Augen zuletzt in der Finſter- niß verſchwindet. Die Wirkſamkeit des Lichtes wird nach und nach gedaͤmpft und ſo die Gegenwirkung des Papieres, und wir koͤnnen uns in dieſem Sinne vor- ſtellen, daß das Weiße nach und nach in das Schwarze uͤbergehe. Man kann jedoch ſagen, daß der Gang des Phaͤnomens dynamiſcher idealer Natur iſt.
582.
Ganz entgegengeſetzt iſt der Fall, wenn wir uns ein weißes Papier im Lichte denken und ziehen erſt eine duͤnne ſchwarze Tinktur daruͤber. Wir verdopplen, wir verdreyfachen den Ueberzug, ſo daß das Papier immer dunkler Grau wird, bis wir es zuletzt ſo ſchwarz als moͤglich faͤrben, ſo daß von der weißen Unterlage nichts mehr hindurchſcheint. Wir haben hier auf dem ato- miſtiſchen, techniſchen Weg eine reale Finſterniß uͤber das Papier verbreitet, welche durch auffallendes Licht wohl einigermaßen bedingt und gemildert, keinesweges aber aufgehoben werden kann. Nun ſucht ſich aber unſer
I. 39
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581.
Hier liegt eine ganz eigene Tuͤcke im Hinterhalt,
die ſich auf eine Vorſtellungsart bezieht, von der an
einem andern Orte gehandelt werden muß, und von
der wir gegenwaͤrtig nur ſo viel ſagen. Man kann
ſich ein weißes Papier im voͤlligen Lichte denken, man
kann es bey hellem Sonnenſcheine in den Schatten le-
gen, man kann ſich ferner denken, daß der Tag nach
und nach abnimmt, daß es Nacht wird, und daß das
weiße Papier vor unſern Augen zuletzt in der Finſter-
niß verſchwindet. Die Wirkſamkeit des Lichtes wird
nach und nach gedaͤmpft und ſo die Gegenwirkung des
Papieres, und wir koͤnnen uns in dieſem Sinne vor-
ſtellen, daß das Weiße nach und nach in das Schwarze
uͤbergehe. Man kann jedoch ſagen, daß der Gang des
Phaͤnomens dynamiſcher idealer Natur iſt.
582.
Ganz entgegengeſetzt iſt der Fall, wenn wir uns
ein weißes Papier im Lichte denken und ziehen erſt eine
duͤnne ſchwarze Tinktur daruͤber. Wir verdopplen, wir
verdreyfachen den Ueberzug, ſo daß das Papier immer
dunkler Grau wird, bis wir es zuletzt ſo ſchwarz als
moͤglich faͤrben, ſo daß von der weißen Unterlage nichts
mehr hindurchſcheint. Wir haben hier auf dem ato-
miſtiſchen, techniſchen Weg eine reale Finſterniß uͤber das
Papier verbreitet, welche durch auffallendes Licht wohl
einigermaßen bedingt und gemildert, keinesweges aber
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/663>, abgerufen am 23.11.2024.
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