Die Lust zum Wissen wird bey dem Menschen zu- erst dadurch angeregt, daß er bedeutende Phäno- mene gewahr wird, die seine Aufmerksamkeit an sich ziehen. Damit nun diese dauernd bleibe, so muß sich eine innigere Theilnahme finden, die uns nach und nach mit den Gegenständen bekannter macht. Alsdann bemerken wir erst eine große Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt. Wir sind genöthigt, zu sondern, zu unterscheiden und wieder zusammenzustellen; wodurch zuletzt eine Ordnung entsteht, die sich mit mehr oder weniger Zufriedenheit übersehen läßt.
Dieses in irgend einem Fache nur einigerma- ßen zu leisten, wird eine anhaltende strenge Be- schäftigung nöthig. Deswegen finden wir, daß die Menschen lieber durch eine allgemeine theoretische Ansicht, durch irgend eine Erklärungsart die Phä- nomene bey Seite bringen, anstatt sich die Mühe
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Einleitung.
Die Luſt zum Wiſſen wird bey dem Menſchen zu- erſt dadurch angeregt, daß er bedeutende Phaͤno- mene gewahr wird, die ſeine Aufmerkſamkeit an ſich ziehen. Damit nun dieſe dauernd bleibe, ſo muß ſich eine innigere Theilnahme finden, die uns nach und nach mit den Gegenſtaͤnden bekannter macht. Alsdann bemerken wir erſt eine große Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt. Wir ſind genoͤthigt, zu ſondern, zu unterſcheiden und wieder zuſammenzuſtellen; wodurch zuletzt eine Ordnung entſteht, die ſich mit mehr oder weniger Zufriedenheit uͤberſehen laͤßt.
Dieſes in irgend einem Fache nur einigerma- ßen zu leiſten, wird eine anhaltende ſtrenge Be- ſchaͤftigung noͤthig. Deswegen finden wir, daß die Menſchen lieber durch eine allgemeine theoretiſche Anſicht, durch irgend eine Erklaͤrungsart die Phaͤ- nomene bey Seite bringen, anſtatt ſich die Muͤhe
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[[XXXV]/0041]
Einleitung.
Die Luſt zum Wiſſen wird bey dem Menſchen zu-
erſt dadurch angeregt, daß er bedeutende Phaͤno-
mene gewahr wird, die ſeine Aufmerkſamkeit an
ſich ziehen. Damit nun dieſe dauernd bleibe, ſo
muß ſich eine innigere Theilnahme finden, die uns
nach und nach mit den Gegenſtaͤnden bekannter
macht. Alsdann bemerken wir erſt eine große
Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt.
Wir ſind genoͤthigt, zu ſondern, zu unterſcheiden
und wieder zuſammenzuſtellen; wodurch zuletzt eine
Ordnung entſteht, die ſich mit mehr oder weniger
Zufriedenheit uͤberſehen laͤßt.
Dieſes in irgend einem Fache nur einigerma-
ßen zu leiſten, wird eine anhaltende ſtrenge Be-
ſchaͤftigung noͤthig. Deswegen finden wir, daß die
Menſchen lieber durch eine allgemeine theoretiſche
Anſicht, durch irgend eine Erklaͤrungsart die Phaͤ-
nomene bey Seite bringen, anſtatt ſich die Muͤhe
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. [XXXV]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/41>, abgerufen am 25.11.2024.
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