einer fremden Wohnung zum Vortheile der Besitzer aus- richten?
Wenn man die Kunst in einem höhern Sinne be- trachtet, so möchte man wünschen, daß nur Meister sich damit abgäben, daß die Schüler auf das strengste geprüft würden, daß Liebhaber sich in einer ehrfurchtsvollen An- näherung glücklich fühlten. Denn das Kunstwerk soll aus dem Genie entspringen, der Künstler soll Gehalt und Form aus der Tiefe seines eigenen Wesens hervorrufen, sich gegen den Stoff beherrschend verhalten, und sich der äußern Einflüsse nur zu seiner Ausbildung bedienen.
Wie aber dennoch aus mancherley Ursachen schon der Künstler den Dilettanten zu ehren hat, so ist es bey wis- senschaftlichen Gegenständen noch weit mehr der Fall, daß der Liebhaber etwas erfreuliches und nützliches zu leisten im Stande ist. Die Wissenschaften ruhen weit mehr auf der Erfahrung als die Kunst, und zum Erfah- ren ist gar mancher geschickt. Das Wissenschaftliche wird von vielen Seiten zusammengetragen, und kann vieler Hände, vieler Köpfe nicht entbehren. Das Wissen läßt sich überliefern, diese Schätze können vererbt werden; und das von Einem Erworbene werden manche sich zu- eignen. Es ist daher Niemand, der nicht seinen Beytrag den Wissenschaften anbieten dürfte. Wie vieles sind wir nicht dem Zufall, dem Handwerk, einer augenblicklichen Aufmerksamkeit schuldig. Alle Naturen, die mit einer glücklichen Sinnlichkeit begabt sind, Frauen, Kinder sind fähig, uns lebhafte und wohlgefaßte Bemerkungen mit- zutheilen.
einer fremden Wohnung zum Vortheile der Beſitzer aus- richten?
Wenn man die Kunſt in einem hoͤhern Sinne be- trachtet, ſo moͤchte man wuͤnſchen, daß nur Meiſter ſich damit abgaͤben, daß die Schuͤler auf das ſtrengſte gepruͤft wuͤrden, daß Liebhaber ſich in einer ehrfurchtsvollen An- naͤherung gluͤcklich fuͤhlten. Denn das Kunſtwerk ſoll aus dem Genie entſpringen, der Kuͤnſtler ſoll Gehalt und Form aus der Tiefe ſeines eigenen Weſens hervorrufen, ſich gegen den Stoff beherrſchend verhalten, und ſich der aͤußern Einfluͤſſe nur zu ſeiner Ausbildung bedienen.
Wie aber dennoch aus mancherley Urſachen ſchon der Kuͤnſtler den Dilettanten zu ehren hat, ſo iſt es bey wiſ- ſenſchaftlichen Gegenſtaͤnden noch weit mehr der Fall, daß der Liebhaber etwas erfreuliches und nuͤtzliches zu leiſten im Stande iſt. Die Wiſſenſchaften ruhen weit mehr auf der Erfahrung als die Kunſt, und zum Erfah- ren iſt gar mancher geſchickt. Das Wiſſenſchaftliche wird von vielen Seiten zuſammengetragen, und kann vieler Haͤnde, vieler Koͤpfe nicht entbehren. Das Wiſſen laͤßt ſich uͤberliefern, dieſe Schaͤtze koͤnnen vererbt werden; und das von Einem Erworbene werden manche ſich zu- eignen. Es iſt daher Niemand, der nicht ſeinen Beytrag den Wiſſenſchaften anbieten duͤrfte. Wie vieles ſind wir nicht dem Zufall, dem Handwerk, einer augenblicklichen Aufmerkſamkeit ſchuldig. Alle Naturen, die mit einer gluͤcklichen Sinnlichkeit begabt ſind, Frauen, Kinder ſind faͤhig, uns lebhafte und wohlgefaßte Bemerkungen mit- zutheilen.
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[351/0405]
einer fremden Wohnung zum Vortheile der Beſitzer aus-
richten?
Wenn man die Kunſt in einem hoͤhern Sinne be-
trachtet, ſo moͤchte man wuͤnſchen, daß nur Meiſter ſich
damit abgaͤben, daß die Schuͤler auf das ſtrengſte gepruͤft
wuͤrden, daß Liebhaber ſich in einer ehrfurchtsvollen An-
naͤherung gluͤcklich fuͤhlten. Denn das Kunſtwerk ſoll
aus dem Genie entſpringen, der Kuͤnſtler ſoll Gehalt und
Form aus der Tiefe ſeines eigenen Weſens hervorrufen,
ſich gegen den Stoff beherrſchend verhalten, und ſich der
aͤußern Einfluͤſſe nur zu ſeiner Ausbildung bedienen.
Wie aber dennoch aus mancherley Urſachen ſchon der
Kuͤnſtler den Dilettanten zu ehren hat, ſo iſt es bey wiſ-
ſenſchaftlichen Gegenſtaͤnden noch weit mehr der Fall,
daß der Liebhaber etwas erfreuliches und nuͤtzliches zu
leiſten im Stande iſt. Die Wiſſenſchaften ruhen weit
mehr auf der Erfahrung als die Kunſt, und zum Erfah-
ren iſt gar mancher geſchickt. Das Wiſſenſchaftliche wird
von vielen Seiten zuſammengetragen, und kann vieler
Haͤnde, vieler Koͤpfe nicht entbehren. Das Wiſſen laͤßt
ſich uͤberliefern, dieſe Schaͤtze koͤnnen vererbt werden;
und das von Einem Erworbene werden manche ſich zu-
eignen. Es iſt daher Niemand, der nicht ſeinen Beytrag
den Wiſſenſchaften anbieten duͤrfte. Wie vieles ſind wir
nicht dem Zufall, dem Handwerk, einer augenblicklichen
Aufmerkſamkeit ſchuldig. Alle Naturen, die mit einer
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/405>, abgerufen am 23.12.2024.
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