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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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er von selbst auf mathematische Schlüsse verfällt, so ist
sein ganzes Talent fort, er arbeite sich denn durch
die Wissenschaft durch wieder in die Freyheit hinein.

So ist es mir unmöglich gewesen, seit ich zuerst
mich über die besondern Erscheinungen bey der Mi-
schung der drey Farben verwunderte, mich zu beru-
higen, bis ich ein gewisses Bild von der ganzen Far-
benwelt hatte, welches groß genug wäre, um alle
Verwandlungen und Erscheinungen in sich zu schließen.

Es ist ein sehr natürlicher Gedanke für einen Ma-
ler, wenn er zu wissen begehrt, indem er eine schöne
Gegend sieht, oder auf irgend eine Art von einem
Effect in der Natur angesprochen wird, aus welchen
Stoffen gemischt dieser Effect wieder zu geben wäre.
Dieß hat mich wenigstens angetrieben, die Eigenhei-
ten der Farben zu studiren, und ob es möglich wäre,
so tief einzudringen in ihre Kräfte, damit es mir deut-
licher würde, was sie leisten, oder was durch sie ge-
wirkt wird, oder was auf sie wirkt. Ich hoffe, daß
Sie mit Schonung einen Versuch ansehen, den ich
bloß aufschreibe, um Ihnen meine Ansicht deutlich zu
machen, die, wie ich doch glaube, sich praktisch nur
ganz auszusprechen vermag. Indeß hoffe ich nicht,
daß es für die Malerey unnütz ist, oder nur entbehrt
werden kann, die Farben von dieser Seite anzusehen;
auch wird diese Ansicht den physikalischen Versuchen, et-
was vollständiges über die Farben zu erfahren, weder
widersprechen, noch sie unnöthig machen.

Da ich Ihnen hier aber keine unumstößlichen Be-
weise vorlegen kann, weil diese auf eine vollständige

er von ſelbſt auf mathematiſche Schluͤſſe verfaͤllt, ſo iſt
ſein ganzes Talent fort, er arbeite ſich denn durch
die Wiſſenſchaft durch wieder in die Freyheit hinein.

So iſt es mir unmoͤglich geweſen, ſeit ich zuerſt
mich uͤber die beſondern Erſcheinungen bey der Mi-
ſchung der drey Farben verwunderte, mich zu beru-
higen, bis ich ein gewiſſes Bild von der ganzen Far-
benwelt hatte, welches groß genug waͤre, um alle
Verwandlungen und Erſcheinungen in ſich zu ſchließen.

Es iſt ein ſehr natuͤrlicher Gedanke fuͤr einen Ma-
ler, wenn er zu wiſſen begehrt, indem er eine ſchoͤne
Gegend ſieht, oder auf irgend eine Art von einem
Effect in der Natur angeſprochen wird, aus welchen
Stoffen gemiſcht dieſer Effect wieder zu geben waͤre.
Dieß hat mich wenigſtens angetrieben, die Eigenhei-
ten der Farben zu ſtudiren, und ob es moͤglich waͤre,
ſo tief einzudringen in ihre Kraͤfte, damit es mir deut-
licher wuͤrde, was ſie leiſten, oder was durch ſie ge-
wirkt wird, oder was auf ſie wirkt. Ich hoffe, daß
Sie mit Schonung einen Verſuch anſehen, den ich
bloß aufſchreibe, um Ihnen meine Anſicht deutlich zu
machen, die, wie ich doch glaube, ſich praktiſch nur
ganz auszuſprechen vermag. Indeß hoffe ich nicht,
daß es fuͤr die Malerey unnuͤtz iſt, oder nur entbehrt
werden kann, die Farben von dieſer Seite anzuſehen;
auch wird dieſe Anſicht den phyſikaliſchen Verſuchen, et-
was vollſtaͤndiges uͤber die Farben zu erfahren, weder
widerſprechen, noch ſie unnoͤthig machen.

Da ich Ihnen hier aber keine unumſtoͤßlichen Be-
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[342/0396] er von ſelbſt auf mathematiſche Schluͤſſe verfaͤllt, ſo iſt ſein ganzes Talent fort, er arbeite ſich denn durch die Wiſſenſchaft durch wieder in die Freyheit hinein. So iſt es mir unmoͤglich geweſen, ſeit ich zuerſt mich uͤber die beſondern Erſcheinungen bey der Mi- ſchung der drey Farben verwunderte, mich zu beru- higen, bis ich ein gewiſſes Bild von der ganzen Far- benwelt hatte, welches groß genug waͤre, um alle Verwandlungen und Erſcheinungen in ſich zu ſchließen. Es iſt ein ſehr natuͤrlicher Gedanke fuͤr einen Ma- ler, wenn er zu wiſſen begehrt, indem er eine ſchoͤne Gegend ſieht, oder auf irgend eine Art von einem Effect in der Natur angeſprochen wird, aus welchen Stoffen gemiſcht dieſer Effect wieder zu geben waͤre. Dieß hat mich wenigſtens angetrieben, die Eigenhei- ten der Farben zu ſtudiren, und ob es moͤglich waͤre, ſo tief einzudringen in ihre Kraͤfte, damit es mir deut- licher wuͤrde, was ſie leiſten, oder was durch ſie ge- wirkt wird, oder was auf ſie wirkt. Ich hoffe, daß Sie mit Schonung einen Verſuch anſehen, den ich bloß aufſchreibe, um Ihnen meine Anſicht deutlich zu machen, die, wie ich doch glaube, ſich praktiſch nur ganz auszuſprechen vermag. Indeß hoffe ich nicht, daß es fuͤr die Malerey unnuͤtz iſt, oder nur entbehrt werden kann, die Farben von dieſer Seite anzuſehen; auch wird dieſe Anſicht den phyſikaliſchen Verſuchen, et- was vollſtaͤndiges uͤber die Farben zu erfahren, weder widerſprechen, noch ſie unnoͤthig machen. Da ich Ihnen hier aber keine unumſtoͤßlichen Be- weiſe vorlegen kann, weil dieſe auf eine vollſtaͤndige

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/396>, abgerufen am 22.12.2024.