Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

spective beruht auf der Lehre von den trüben Mitteln.
Wir sehen den Himmel, die entfernten Gegenstände, ja
die nahen Schatten blau. Zugleich erscheint uns das
Leuchtende und Beleuchtete stufenweise Gelb bis zur
Purpurfarbe. In manchen Fällen tritt sogleich die
physiologische Forderung der Farben ein, und eine
ganz farblose Landschaft wird durch diese mit und ge-
gen einander wirkenden Bestimmungen vor unserm Auge
völlig farbig erscheinen.


Colorit der Gegenstände.

873.

Localfarben sind die allgemeinen Elementarfarben,
aber nach den Eigenschaften der Körper und ihrer
Oberflächen, an denen wir sie gewahr werden, specifi-
cirt. Diese Specification geht bis ins Unendliche.

874.

Es ist ein großer Unterschied, ob man gefärbte
Seide oder Wolle vor sich hat. Jede Art des Berei-
tens und Webens bringt schon Abweichungen hervor.
Rauhigkeit, Glätte, Glanz kommen in Betrachtung.

875.

Es ist daher ein der Kunst sehr schädliches Vorurtheil,
daß der gute Maler keine Rücksicht auf den Stoff der

21 *

ſpective beruht auf der Lehre von den truͤben Mitteln.
Wir ſehen den Himmel, die entfernten Gegenſtaͤnde, ja
die nahen Schatten blau. Zugleich erſcheint uns das
Leuchtende und Beleuchtete ſtufenweiſe Gelb bis zur
Purpurfarbe. In manchen Faͤllen tritt ſogleich die
phyſiologiſche Forderung der Farben ein, und eine
ganz farbloſe Landſchaft wird durch dieſe mit und ge-
gen einander wirkenden Beſtimmungen vor unſerm Auge
voͤllig farbig erſcheinen.


Colorit der Gegenſtaͤnde.

873.

Localfarben ſind die allgemeinen Elementarfarben,
aber nach den Eigenſchaften der Koͤrper und ihrer
Oberflaͤchen, an denen wir ſie gewahr werden, ſpecifi-
cirt. Dieſe Specification geht bis ins Unendliche.

874.

Es iſt ein großer Unterſchied, ob man gefaͤrbte
Seide oder Wolle vor ſich hat. Jede Art des Berei-
tens und Webens bringt ſchon Abweichungen hervor.
Rauhigkeit, Glaͤtte, Glanz kommen in Betrachtung.

875.

Es iſt daher ein der Kunſt ſehr ſchaͤdliches Vorurtheil,
daß der gute Maler keine Ruͤckſicht auf den Stoff der

21 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0377" n="323"/>
&#x017F;pective beruht auf der Lehre von den tru&#x0364;ben Mitteln.<lb/>
Wir &#x017F;ehen den Himmel, die entfernten Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, ja<lb/>
die nahen Schatten blau. Zugleich er&#x017F;cheint uns das<lb/>
Leuchtende und Beleuchtete &#x017F;tufenwei&#x017F;e Gelb bis zur<lb/>
Purpurfarbe. In manchen Fa&#x0364;llen tritt &#x017F;ogleich die<lb/>
phy&#x017F;iologi&#x017F;che Forderung der Farben ein, und eine<lb/>
ganz farblo&#x017F;e Land&#x017F;chaft wird durch die&#x017F;e mit und ge-<lb/>
gen einander wirkenden Be&#x017F;timmungen vor un&#x017F;erm Auge<lb/>
vo&#x0364;llig farbig er&#x017F;cheinen.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Colorit der Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde</hi>.</hi> </head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <div n="4">
              <head>873.</head><lb/>
              <p>Localfarben &#x017F;ind die allgemeinen Elementarfarben,<lb/>
aber nach den Eigen&#x017F;chaften der Ko&#x0364;rper und ihrer<lb/>
Oberfla&#x0364;chen, an denen wir &#x017F;ie gewahr werden, &#x017F;pecifi-<lb/>
cirt. Die&#x017F;e Specification geht bis ins Unendliche.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>874.</head><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t ein großer Unter&#x017F;chied, ob man gefa&#x0364;rbte<lb/>
Seide oder Wolle vor &#x017F;ich hat. Jede Art des Berei-<lb/>
tens und Webens bringt &#x017F;chon Abweichungen hervor.<lb/>
Rauhigkeit, Gla&#x0364;tte, Glanz kommen in Betrachtung.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>875.</head><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t daher ein der Kun&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;cha&#x0364;dliches Vorurtheil,<lb/>
daß der gute Maler keine Ru&#x0364;ck&#x017F;icht auf den Stoff der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">21 *</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0377] ſpective beruht auf der Lehre von den truͤben Mitteln. Wir ſehen den Himmel, die entfernten Gegenſtaͤnde, ja die nahen Schatten blau. Zugleich erſcheint uns das Leuchtende und Beleuchtete ſtufenweiſe Gelb bis zur Purpurfarbe. In manchen Faͤllen tritt ſogleich die phyſiologiſche Forderung der Farben ein, und eine ganz farbloſe Landſchaft wird durch dieſe mit und ge- gen einander wirkenden Beſtimmungen vor unſerm Auge voͤllig farbig erſcheinen. Colorit der Gegenſtaͤnde. 873. Localfarben ſind die allgemeinen Elementarfarben, aber nach den Eigenſchaften der Koͤrper und ihrer Oberflaͤchen, an denen wir ſie gewahr werden, ſpecifi- cirt. Dieſe Specification geht bis ins Unendliche. 874. Es iſt ein großer Unterſchied, ob man gefaͤrbte Seide oder Wolle vor ſich hat. Jede Art des Berei- tens und Webens bringt ſchon Abweichungen hervor. Rauhigkeit, Glaͤtte, Glanz kommen in Betrachtung. 875. Es iſt daher ein der Kunſt ſehr ſchaͤdliches Vorurtheil, daß der gute Maler keine Ruͤckſicht auf den Stoff der 21 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/377
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/377>, abgerufen am 23.11.2024.