Sechste Abtheilung. Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe.
758.
Da die Farbe in der Reihe der uranfänglichen Naturerscheinungen einen so hohen Platz behauptet, in- dem sie den ihr angewiesenen einfachen Kreis mit ent- schiedener Mannigfaltigkeit ausfüllt; so werden wir uns nicht wundern, wenn wir erfahren, daß sie auf den Sinn des Auges, dem sie vorzüglich zugeeignet ist, und durch dessen Vermittelung, auf das Gemüth, in ihren allgemeinsten elementaren Erscheinungen, ohne Bezug auf Beschaffenheit oder Form eines Materials, an dessen Oberfläche wir sie gewahr werden, einzeln eine specifische, in Zusammenstellung eine theils har- monische, theils charakteristische, oft auch unharmo- nische, immer aber eine entschiedene und bedeutende Wirkung hervorbringe, die sich unmittelbar an das Sittliche anschließt. Deshalb denn Farbe, als ein Element der Kunst betrachtet, zu den höchsten ästheti- schen Zwecken mitwirkend genutzt werden kann.
Sechſte Abtheilung. Sinnlich-ſittliche Wirkung der Farbe.
758.
Da die Farbe in der Reihe der uranfaͤnglichen Naturerſcheinungen einen ſo hohen Platz behauptet, in- dem ſie den ihr angewieſenen einfachen Kreis mit ent- ſchiedener Mannigfaltigkeit ausfuͤllt; ſo werden wir uns nicht wundern, wenn wir erfahren, daß ſie auf den Sinn des Auges, dem ſie vorzuͤglich zugeeignet iſt, und durch deſſen Vermittelung, auf das Gemuͤth, in ihren allgemeinſten elementaren Erſcheinungen, ohne Bezug auf Beſchaffenheit oder Form eines Materials, an deſſen Oberflaͤche wir ſie gewahr werden, einzeln eine ſpecifiſche, in Zuſammenſtellung eine theils har- moniſche, theils charakteriſtiſche, oft auch unharmo- niſche, immer aber eine entſchiedene und bedeutende Wirkung hervorbringe, die ſich unmittelbar an das Sittliche anſchließt. Deshalb denn Farbe, als ein Element der Kunſt betrachtet, zu den hoͤchſten aͤſtheti- ſchen Zwecken mitwirkend genutzt werden kann.
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[[287]/0341]
Sechſte Abtheilung.
Sinnlich-ſittliche Wirkung der Farbe.
758.
Da die Farbe in der Reihe der uranfaͤnglichen
Naturerſcheinungen einen ſo hohen Platz behauptet, in-
dem ſie den ihr angewieſenen einfachen Kreis mit ent-
ſchiedener Mannigfaltigkeit ausfuͤllt; ſo werden wir
uns nicht wundern, wenn wir erfahren, daß ſie auf
den Sinn des Auges, dem ſie vorzuͤglich zugeeignet
iſt, und durch deſſen Vermittelung, auf das Gemuͤth,
in ihren allgemeinſten elementaren Erſcheinungen, ohne
Bezug auf Beſchaffenheit oder Form eines Materials,
an deſſen Oberflaͤche wir ſie gewahr werden, einzeln
eine ſpecifiſche, in Zuſammenſtellung eine theils har-
moniſche, theils charakteriſtiſche, oft auch unharmo-
niſche, immer aber eine entſchiedene und bedeutende
Wirkung hervorbringe, die ſich unmittelbar an das
Sittliche anſchließt. Deshalb denn Farbe, als ein
Element der Kunſt betrachtet, zu den hoͤchſten aͤſtheti-
ſchen Zwecken mitwirkend genutzt werden kann.
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. [287]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/341>, abgerufen am 22.12.2024.
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