Auge erblickt ein kleines glänzendes Sonnenbild, das, wenn man es nahe betrachtet, keine Farbe zeigt. Geht man aber zurück und faßt den Abglanz in einiger Ent- fernung mit den Augen auf; so sieht man viele kleine, auf die mannigfaltigste Weise gefärbte Sonnenbilder, und ob man gleich Grün und Purpur am meisten zu sehen glaubt, so zeigen sich doch auch, bey genauerer Auf- merksamkeit, die übrigen Farben.
368.
Nimmt man eine Lorgnette, und sieht dadurch auf die Erscheinung; so sind die Farben verschwunden, so wie der ausgedehntere Glanz, in dem sie erscheinen, und man erblickt nur die kleinen leuchtenden Puncte, die wiederholten Sonnenbilder. Hieraus erkennt man, daß die Erfahrung subjectiver Natur ist, und daß sich die Erscheinung an jene anschließt, die wir unter dem Na- men der strahlenden Höfe eingeführt haben (100).
369.
Allein wir können dieses Phänomen auch von der objectiven Seite zeigen. Man befestige unter eine mäßige Oeffnung in dem Laden der Camera obscura ein weißes Papier, und halte, wenn die Sonne durch die Oeff- nung scheint, die verworrene Drathsaite in das Licht, so daß sie dem Papiere gegenüber steht. Das Sonnen- licht wird auf und in die Ringe der Drathsaite fallen, sich aber nicht, wie im concentrirenden menschlichen Auge, auf einem Puncte zeigen; sondern, weil das Papier auf jedem Theile seiner Fläche den Abglanz des
Auge erblickt ein kleines glaͤnzendes Sonnenbild, das, wenn man es nahe betrachtet, keine Farbe zeigt. Geht man aber zuruͤck und faßt den Abglanz in einiger Ent- fernung mit den Augen auf; ſo ſieht man viele kleine, auf die mannigfaltigſte Weiſe gefaͤrbte Sonnenbilder, und ob man gleich Gruͤn und Purpur am meiſten zu ſehen glaubt, ſo zeigen ſich doch auch, bey genauerer Auf- merkſamkeit, die uͤbrigen Farben.
368.
Nimmt man eine Lorgnette, und ſieht dadurch auf die Erſcheinung; ſo ſind die Farben verſchwunden, ſo wie der ausgedehntere Glanz, in dem ſie erſcheinen, und man erblickt nur die kleinen leuchtenden Puncte, die wiederholten Sonnenbilder. Hieraus erkennt man, daß die Erfahrung ſubjectiver Natur iſt, und daß ſich die Erſcheinung an jene anſchließt, die wir unter dem Na- men der ſtrahlenden Hoͤfe eingefuͤhrt haben (100).
369.
Allein wir koͤnnen dieſes Phaͤnomen auch von der objectiven Seite zeigen. Man befeſtige unter eine maͤßige Oeffnung in dem Laden der Camera obſcura ein weißes Papier, und halte, wenn die Sonne durch die Oeff- nung ſcheint, die verworrene Drathſaite in das Licht, ſo daß ſie dem Papiere gegenuͤber ſteht. Das Sonnen- licht wird auf und in die Ringe der Drathſaite fallen, ſich aber nicht, wie im concentrirenden menſchlichen Auge, auf einem Puncte zeigen; ſondern, weil das Papier auf jedem Theile ſeiner Flaͤche den Abglanz des
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Auge erblickt ein kleines glaͤnzendes Sonnenbild, das,
wenn man es nahe betrachtet, keine Farbe zeigt. Geht
man aber zuruͤck und faßt den Abglanz in einiger Ent-
fernung mit den Augen auf; ſo ſieht man viele kleine,
auf die mannigfaltigſte Weiſe gefaͤrbte Sonnenbilder, und
ob man gleich Gruͤn und Purpur am meiſten zu ſehen
glaubt, ſo zeigen ſich doch auch, bey genauerer Auf-
merkſamkeit, die uͤbrigen Farben.
368.
Nimmt man eine Lorgnette, und ſieht dadurch auf
die Erſcheinung; ſo ſind die Farben verſchwunden, ſo
wie der ausgedehntere Glanz, in dem ſie erſcheinen, und
man erblickt nur die kleinen leuchtenden Puncte, die
wiederholten Sonnenbilder. Hieraus erkennt man, daß
die Erfahrung ſubjectiver Natur iſt, und daß ſich die
Erſcheinung an jene anſchließt, die wir unter dem Na-
men der ſtrahlenden Hoͤfe eingefuͤhrt haben (100).
369.
Allein wir koͤnnen dieſes Phaͤnomen auch von der
objectiven Seite zeigen. Man befeſtige unter eine maͤßige
Oeffnung in dem Laden der Camera obſcura ein weißes
Papier, und halte, wenn die Sonne durch die Oeff-
nung ſcheint, die verworrene Drathſaite in das Licht,
ſo daß ſie dem Papiere gegenuͤber ſteht. Das Sonnen-
licht wird auf und in die Ringe der Drathſaite fallen,
ſich aber nicht, wie im concentrirenden menſchlichen
Auge, auf einem Puncte zeigen; ſondern, weil das
Papier auf jedem Theile ſeiner Flaͤche den Abglanz des
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/197>, abgerufen am 03.12.2024.
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