Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
359.

Was ferner die Ordnung der Capitel überhaupt
betrifft, so mag man bedenken, daß selbst verwandte
Naturphänomene in keiner eigentlichen Folge oder steti-
gen Reihe sich an einander schließen; sondern daß sie
durch Thätigkeiten hervorgebracht werden, welche ver-
schränkt wirken, so daß es gewissermaßen gleichgültig
ist, was für eine Erscheinung man zuerst, und was
für eine man zuletzt betrachtet: weil es doch nur dar-
auf ankommt, daß man sich alle möglichst vergegenwär-
tige, um sie zuletzt unter einem Gesichtspunct, theils
nach ihrer Natur, theils nach Menschen-Weise und
Bequemlichkeit, zusammenzufassen.

360.

Doch kann man im gegenwärtigen besondern Falle
behaupten, daß die dioptrischen Farben billig an die Spitze
der physischen gestellt werden, so wohl wegen ihres auf-
fallenden Glanzes und übrigen Bedeutsamkeit, als auch
weil, um dieselben abzuleiten, manches zur Sprache
kommen mußte, welches uns zunächst große Erleichte-
rung gewähren wird.

361.

Denn man hat bisher das Licht als eine Art von
Abstractum, als ein für sich bestehendes und wirken-
des, gewissermaßen sich selbst bedingendes, bey geringen
Anlässen aus sich selbst die Farben hervorbringendes
Wesen angesehen. Von dieser Vorstellungsart jedoch
die Naturfreunde abzulenken, sie aufmerksam zu machen,

359.

Was ferner die Ordnung der Capitel uͤberhaupt
betrifft, ſo mag man bedenken, daß ſelbſt verwandte
Naturphaͤnomene in keiner eigentlichen Folge oder ſteti-
gen Reihe ſich an einander ſchließen; ſondern daß ſie
durch Thaͤtigkeiten hervorgebracht werden, welche ver-
ſchraͤnkt wirken, ſo daß es gewiſſermaßen gleichguͤltig
iſt, was fuͤr eine Erſcheinung man zuerſt, und was
fuͤr eine man zuletzt betrachtet: weil es doch nur dar-
auf ankommt, daß man ſich alle moͤglichſt vergegenwaͤr-
tige, um ſie zuletzt unter einem Geſichtspunct, theils
nach ihrer Natur, theils nach Menſchen-Weiſe und
Bequemlichkeit, zuſammenzufaſſen.

360.

Doch kann man im gegenwaͤrtigen beſondern Falle
behaupten, daß die dioptriſchen Farben billig an die Spitze
der phyſiſchen geſtellt werden, ſo wohl wegen ihres auf-
fallenden Glanzes und uͤbrigen Bedeutſamkeit, als auch
weil, um dieſelben abzuleiten, manches zur Sprache
kommen mußte, welches uns zunaͤchſt große Erleichte-
rung gewaͤhren wird.

361.

Denn man hat bisher das Licht als eine Art von
Abſtractum, als ein fuͤr ſich beſtehendes und wirken-
des, gewiſſermaßen ſich ſelbſt bedingendes, bey geringen
Anlaͤſſen aus ſich ſelbſt die Farben hervorbringendes
Weſen angeſehen. Von dieſer Vorſtellungsart jedoch
die Naturfreunde abzulenken, ſie aufmerkſam zu machen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0194" n="140"/>
            <div n="4">
              <head>359.</head><lb/>
              <p>Was ferner die Ordnung der Capitel u&#x0364;berhaupt<lb/>
betrifft, &#x017F;o mag man bedenken, daß &#x017F;elb&#x017F;t verwandte<lb/>
Naturpha&#x0364;nomene in keiner eigentlichen Folge oder &#x017F;teti-<lb/>
gen Reihe &#x017F;ich an einander &#x017F;chließen; &#x017F;ondern daß &#x017F;ie<lb/>
durch Tha&#x0364;tigkeiten hervorgebracht werden, welche ver-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkt wirken, &#x017F;o daß es gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen gleichgu&#x0364;ltig<lb/>
i&#x017F;t, was fu&#x0364;r eine Er&#x017F;cheinung man zuer&#x017F;t, und was<lb/>
fu&#x0364;r eine man zuletzt betrachtet: weil es doch nur dar-<lb/>
auf ankommt, daß man &#x017F;ich alle mo&#x0364;glich&#x017F;t vergegenwa&#x0364;r-<lb/>
tige, um &#x017F;ie zuletzt unter einem Ge&#x017F;ichtspunct, theils<lb/>
nach ihrer Natur, theils nach Men&#x017F;chen-Wei&#x017F;e und<lb/>
Bequemlichkeit, zu&#x017F;ammenzufa&#x017F;&#x017F;en.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>360.</head><lb/>
              <p>Doch kann man im gegenwa&#x0364;rtigen be&#x017F;ondern Falle<lb/>
behaupten, daß die dioptri&#x017F;chen Farben billig an die Spitze<lb/>
der phy&#x017F;i&#x017F;chen ge&#x017F;tellt werden, &#x017F;o wohl wegen ihres auf-<lb/>
fallenden Glanzes und u&#x0364;brigen Bedeut&#x017F;amkeit, als auch<lb/>
weil, um die&#x017F;elben abzuleiten, manches zur Sprache<lb/>
kommen mußte, welches uns zuna&#x0364;ch&#x017F;t große Erleichte-<lb/>
rung gewa&#x0364;hren wird.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>361.</head><lb/>
              <p>Denn man hat bisher das Licht als eine Art von<lb/>
Ab&#x017F;tractum, als ein fu&#x0364;r &#x017F;ich be&#x017F;tehendes und wirken-<lb/>
des, gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t bedingendes, bey geringen<lb/>
Anla&#x0364;&#x017F;&#x017F;en aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t die Farben hervorbringendes<lb/>
We&#x017F;en ange&#x017F;ehen. Von die&#x017F;er Vor&#x017F;tellungsart jedoch<lb/>
die Naturfreunde abzulenken, &#x017F;ie aufmerk&#x017F;am zu machen,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0194] 359. Was ferner die Ordnung der Capitel uͤberhaupt betrifft, ſo mag man bedenken, daß ſelbſt verwandte Naturphaͤnomene in keiner eigentlichen Folge oder ſteti- gen Reihe ſich an einander ſchließen; ſondern daß ſie durch Thaͤtigkeiten hervorgebracht werden, welche ver- ſchraͤnkt wirken, ſo daß es gewiſſermaßen gleichguͤltig iſt, was fuͤr eine Erſcheinung man zuerſt, und was fuͤr eine man zuletzt betrachtet: weil es doch nur dar- auf ankommt, daß man ſich alle moͤglichſt vergegenwaͤr- tige, um ſie zuletzt unter einem Geſichtspunct, theils nach ihrer Natur, theils nach Menſchen-Weiſe und Bequemlichkeit, zuſammenzufaſſen. 360. Doch kann man im gegenwaͤrtigen beſondern Falle behaupten, daß die dioptriſchen Farben billig an die Spitze der phyſiſchen geſtellt werden, ſo wohl wegen ihres auf- fallenden Glanzes und uͤbrigen Bedeutſamkeit, als auch weil, um dieſelben abzuleiten, manches zur Sprache kommen mußte, welches uns zunaͤchſt große Erleichte- rung gewaͤhren wird. 361. Denn man hat bisher das Licht als eine Art von Abſtractum, als ein fuͤr ſich beſtehendes und wirken- des, gewiſſermaßen ſich ſelbſt bedingendes, bey geringen Anlaͤſſen aus ſich ſelbſt die Farben hervorbringendes Weſen angeſehen. Von dieſer Vorſtellungsart jedoch die Naturfreunde abzulenken, ſie aufmerkſam zu machen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/194
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/194>, abgerufen am 22.12.2024.