hervorbringen, so daß das Rothe von dieser Seite ver- kürzt und hinaufgerückt erscheint, und der violette Saum nach dem Schwarzen zu kaum bemerkt wird.
266.
Dagegen wird der blaue Scheinrand sich mit der blauen Fläche identificiren, ihr nicht allein nichts neh- men, sondern vielmehr noch geben; und dieselbe wird also dadurch und durch den violetten benachbarten Saum, dem Anscheine nach, vergrößert und scheinbar herunter gerückt werden.
267.
Die Wirkung der homogenen und heterogenen Rän- der, wie ich sie gegenwärtig genau beschrieben habe, ist so mächtig und so sonderbar, daß einem flüchtigen Beschauer beym ersten Anblicke die beyden Vierecke aus ihrer wechselseitig horizontalen Lage geschoben und im entgegengesetzten Sinne verrückt scheinen, das Rothe hinaufwärts, das Blaue herabwärts. Doch Niemand, der in einer gewissen Folge zu beobachten, Versuche an einander zu knüpfen, aus einander herzuleiten ver- steht, wird sich von einer solchen Scheinwirkung täu- schen lassen.
268.
Eine richtige Einsicht in dieses bedeutende Phäno- men wird aber dadurch erleichtert, daß gewisse scharfe, ja ängstliche Bedingungen nöthig sind, wenn diese Täuschung statt finden soll. Man muß nehmlich zu dem rothen Viereck ein mit Zinnober oder dem besten
hervorbringen, ſo daß das Rothe von dieſer Seite ver- kuͤrzt und hinaufgeruͤckt erſcheint, und der violette Saum nach dem Schwarzen zu kaum bemerkt wird.
266.
Dagegen wird der blaue Scheinrand ſich mit der blauen Flaͤche identificiren, ihr nicht allein nichts neh- men, ſondern vielmehr noch geben; und dieſelbe wird alſo dadurch und durch den violetten benachbarten Saum, dem Anſcheine nach, vergroͤßert und ſcheinbar herunter geruͤckt werden.
267.
Die Wirkung der homogenen und heterogenen Raͤn- der, wie ich ſie gegenwaͤrtig genau beſchrieben habe, iſt ſo maͤchtig und ſo ſonderbar, daß einem fluͤchtigen Beſchauer beym erſten Anblicke die beyden Vierecke aus ihrer wechſelſeitig horizontalen Lage geſchoben und im entgegengeſetzten Sinne verruͤckt ſcheinen, das Rothe hinaufwaͤrts, das Blaue herabwaͤrts. Doch Niemand, der in einer gewiſſen Folge zu beobachten, Verſuche an einander zu knuͤpfen, aus einander herzuleiten ver- ſteht, wird ſich von einer ſolchen Scheinwirkung taͤu- ſchen laſſen.
268.
Eine richtige Einſicht in dieſes bedeutende Phaͤno- men wird aber dadurch erleichtert, daß gewiſſe ſcharfe, ja aͤngſtliche Bedingungen noͤthig ſind, wenn dieſe Taͤuſchung ſtatt finden ſoll. Man muß nehmlich zu dem rothen Viereck ein mit Zinnober oder dem beſten
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hervorbringen, ſo daß das Rothe von dieſer Seite ver-
kuͤrzt und hinaufgeruͤckt erſcheint, und der violette Saum
nach dem Schwarzen zu kaum bemerkt wird.
266.
Dagegen wird der blaue Scheinrand ſich mit der
blauen Flaͤche identificiren, ihr nicht allein nichts neh-
men, ſondern vielmehr noch geben; und dieſelbe wird
alſo dadurch und durch den violetten benachbarten Saum,
dem Anſcheine nach, vergroͤßert und ſcheinbar herunter
geruͤckt werden.
267.
Die Wirkung der homogenen und heterogenen Raͤn-
der, wie ich ſie gegenwaͤrtig genau beſchrieben habe,
iſt ſo maͤchtig und ſo ſonderbar, daß einem fluͤchtigen
Beſchauer beym erſten Anblicke die beyden Vierecke aus
ihrer wechſelſeitig horizontalen Lage geſchoben und im
entgegengeſetzten Sinne verruͤckt ſcheinen, das Rothe
hinaufwaͤrts, das Blaue herabwaͤrts. Doch Niemand,
der in einer gewiſſen Folge zu beobachten, Verſuche
an einander zu knuͤpfen, aus einander herzuleiten ver-
ſteht, wird ſich von einer ſolchen Scheinwirkung taͤu-
ſchen laſſen.
268.
Eine richtige Einſicht in dieſes bedeutende Phaͤno-
men wird aber dadurch erleichtert, daß gewiſſe ſcharfe,
ja aͤngſtliche Bedingungen noͤthig ſind, wenn dieſe
Taͤuſchung ſtatt finden ſoll. Man muß nehmlich zu
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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