Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als
er das Gemälde wieder vornahm und den schwarzen
Sammtrock in völligem Glanze wieder erblickte. Er
konnte sich nicht enthalten, den Rock an einem Ende
abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder
erschien, und nach einiger Zeit verschwand.

Als ich Nachricht von diesem Phänomen erhielt,
begab ich mich sogleich zu dem Wunderbilde. Es ward
in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme
überfahren, und die Veränderung zeigte sich sehr schnell.
Ich sah einen zwar etwas verschossenen aber völlig hell-
blauen Plüschrock, auf welchem an dem Aermel einige
braune Striche die Falten andeuteten.

Ich erklärte mir dieses Phänomen aus der Lehre
von den trüben Mitteln. Der Künstler mochte seine
schon gemalte schwarze Farbe, um sie recht tief zu
machen, mit einem besondern Firniß lasiren, welcher
beym Waschen einige Feuchtigkeit in sich sog und da-
durch trübe ward, wodurch das unterliegende Schwarz
sogleich als Blau erschien. Vielleicht kommen diejeni-
gen, welche viel mit Firnissen umgehen, durch Zufall
oder Nachdenken, auf den Weg, diese sonderbare Er-
scheinung, den Freunden der Naturforschung, als Ex-
periment darzustellen. Mir hat es nach mancherley
Proben nicht gelingen wollen.

173.

Haben wir nun die herrlichsten Fälle atmosphäri-
scher Erscheinungen, so wie andre geringere, aber doch
immer genugsam bedeutende, aus der Haupterfahrung

I. 5

Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als
er das Gemaͤlde wieder vornahm und den ſchwarzen
Sammtrock in voͤlligem Glanze wieder erblickte. Er
konnte ſich nicht enthalten, den Rock an einem Ende
abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder
erſchien, und nach einiger Zeit verſchwand.

Als ich Nachricht von dieſem Phaͤnomen erhielt,
begab ich mich ſogleich zu dem Wunderbilde. Es ward
in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme
uͤberfahren, und die Veraͤnderung zeigte ſich ſehr ſchnell.
Ich ſah einen zwar etwas verſchoſſenen aber voͤllig hell-
blauen Pluͤſchrock, auf welchem an dem Aermel einige
braune Striche die Falten andeuteten.

Ich erklaͤrte mir dieſes Phaͤnomen aus der Lehre
von den truͤben Mitteln. Der Kuͤnſtler mochte ſeine
ſchon gemalte ſchwarze Farbe, um ſie recht tief zu
machen, mit einem beſondern Firniß laſiren, welcher
beym Waſchen einige Feuchtigkeit in ſich ſog und da-
durch truͤbe ward, wodurch das unterliegende Schwarz
ſogleich als Blau erſchien. Vielleicht kommen diejeni-
gen, welche viel mit Firniſſen umgehen, durch Zufall
oder Nachdenken, auf den Weg, dieſe ſonderbare Er-
ſcheinung, den Freunden der Naturforſchung, als Ex-
periment darzuſtellen. Mir hat es nach mancherley
Proben nicht gelingen wollen.

173.

Haben wir nun die herrlichſten Faͤlle atmoſphaͤri-
ſcher Erſcheinungen, ſo wie andre geringere, aber doch
immer genugſam bedeutende, aus der Haupterfahrung

I. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0119" n="65"/>
              <p>Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als<lb/>
er das Gema&#x0364;lde wieder vornahm und den &#x017F;chwarzen<lb/>
Sammtrock in vo&#x0364;lligem Glanze wieder erblickte. Er<lb/>
konnte &#x017F;ich nicht enthalten, den Rock an einem Ende<lb/>
abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder<lb/>
er&#x017F;chien, und nach einiger Zeit ver&#x017F;chwand.</p><lb/>
              <p>Als ich Nachricht von die&#x017F;em Pha&#x0364;nomen erhielt,<lb/>
begab ich mich &#x017F;ogleich zu dem Wunderbilde. Es ward<lb/>
in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme<lb/>
u&#x0364;berfahren, und die Vera&#x0364;nderung zeigte &#x017F;ich &#x017F;ehr &#x017F;chnell.<lb/>
Ich &#x017F;ah einen zwar etwas ver&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enen aber vo&#x0364;llig hell-<lb/>
blauen Plu&#x0364;&#x017F;chrock, auf welchem an dem Aermel einige<lb/>
braune Striche die Falten andeuteten.</p><lb/>
              <p>Ich erkla&#x0364;rte mir die&#x017F;es Pha&#x0364;nomen aus der Lehre<lb/>
von den tru&#x0364;ben Mitteln. Der Ku&#x0364;n&#x017F;tler mochte &#x017F;eine<lb/>
&#x017F;chon gemalte &#x017F;chwarze Farbe, um &#x017F;ie recht tief zu<lb/>
machen, mit einem be&#x017F;ondern Firniß la&#x017F;iren, welcher<lb/>
beym Wa&#x017F;chen einige Feuchtigkeit in &#x017F;ich &#x017F;og und da-<lb/>
durch tru&#x0364;be ward, wodurch das unterliegende Schwarz<lb/>
&#x017F;ogleich als Blau er&#x017F;chien. Vielleicht kommen diejeni-<lb/>
gen, welche viel mit Firni&#x017F;&#x017F;en umgehen, durch Zufall<lb/>
oder Nachdenken, auf den Weg, die&#x017F;e &#x017F;onderbare Er-<lb/>
&#x017F;cheinung, den Freunden der Naturfor&#x017F;chung, als Ex-<lb/>
periment darzu&#x017F;tellen. Mir hat es nach mancherley<lb/>
Proben nicht gelingen wollen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>173.</head><lb/>
              <p>Haben wir nun die herrlich&#x017F;ten Fa&#x0364;lle atmo&#x017F;pha&#x0364;ri-<lb/>
&#x017F;cher Er&#x017F;cheinungen, &#x017F;o wie andre geringere, aber doch<lb/>
immer genug&#x017F;am bedeutende, aus der Haupterfahrung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> 5</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0119] Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als er das Gemaͤlde wieder vornahm und den ſchwarzen Sammtrock in voͤlligem Glanze wieder erblickte. Er konnte ſich nicht enthalten, den Rock an einem Ende abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder erſchien, und nach einiger Zeit verſchwand. Als ich Nachricht von dieſem Phaͤnomen erhielt, begab ich mich ſogleich zu dem Wunderbilde. Es ward in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme uͤberfahren, und die Veraͤnderung zeigte ſich ſehr ſchnell. Ich ſah einen zwar etwas verſchoſſenen aber voͤllig hell- blauen Pluͤſchrock, auf welchem an dem Aermel einige braune Striche die Falten andeuteten. Ich erklaͤrte mir dieſes Phaͤnomen aus der Lehre von den truͤben Mitteln. Der Kuͤnſtler mochte ſeine ſchon gemalte ſchwarze Farbe, um ſie recht tief zu machen, mit einem beſondern Firniß laſiren, welcher beym Waſchen einige Feuchtigkeit in ſich ſog und da- durch truͤbe ward, wodurch das unterliegende Schwarz ſogleich als Blau erſchien. Vielleicht kommen diejeni- gen, welche viel mit Firniſſen umgehen, durch Zufall oder Nachdenken, auf den Weg, dieſe ſonderbare Er- ſcheinung, den Freunden der Naturforſchung, als Ex- periment darzuſtellen. Mir hat es nach mancherley Proben nicht gelingen wollen. 173. Haben wir nun die herrlichſten Faͤlle atmoſphaͤri- ſcher Erſcheinungen, ſo wie andre geringere, aber doch immer genugſam bedeutende, aus der Haupterfahrung I. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/119
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/119>, abgerufen am 22.12.2024.