ginal identisch machen möchte, so dass eins nicht anstatt des andern, sondern an der Stelle des andern gelten solle.
Diese Art erlitt anfangs den grössten Widerstand; denn der Uebersetzer der sich fest an sein Original anschliesst giebt mehr oder weniger die Originalität seiner Nation auf, und so entsteht ein Drittes, wozu der Geschmack der Menge sich erst heran bil- den muss.
Der nie genug zu schätzende Voss konnte das Publikum zuerst nicht befriedi- gen, bis man sich nach und nach in die neue Art hinein hörte, hinein bequemte. Wer nun aber jetzt übersieht was gesche- hen ist, welche Versatilität unter die Deut- schen gekommen, welche rhetorische, rhyth- mische, metrische Vortheile dem geistreich talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie nun Ariost und Tasso, Shakespear und Cal- deron, als eingedeutschte Fremde, uns doppelt und dreyfach vorgeführt werden, der darf hoffen dass die Literargeschichte unbewunden aussprechen werde, wer die- sen Weg unter mancherley Hindernissen zuerst einschlug.
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ginal identisch machen möchte, so daſs eins nicht anstatt des andern, sondern an der Stelle des andern gelten solle.
Diese Art erlitt anfangs den gröſsten Widerstand; denn der Uebersetzer der sich fest an sein Original anschlieſst giebt mehr oder weniger die Originalität seiner Nation auf, und so entsteht ein Drittes, wozu der Geschmack der Menge sich erst heran bil- den muſs.
Der nie genug zu schätzende Voſs konnte das Publikum zuerst nicht befriedi- gen, bis man sich nach und nach in die neue Art hinein hörte, hinein bequemte. Wer nun aber jetzt übersieht was gesche- hen ist, welche Versatilität unter die Deut- schen gekommen, welche rhetorische, rhyth- mische, metrische Vortheile dem geistreich talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie nun Ariost und Tasso, Shakespear und Cal- deron, als eingedeutschte Fremde, uns doppelt und dreyfach vorgeführt werden, der darf hoffen daſs die Literargeschichte unbewunden aussprechen werde, wer die- sen Weg unter mancherley Hindernissen zuerst einschlug.
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ginal identisch machen möchte, so daſs eins
nicht anstatt des andern, sondern an der
Stelle des andern gelten solle.
Diese Art erlitt anfangs den gröſsten
Widerstand; denn der Uebersetzer der sich
fest an sein Original anschlieſst giebt mehr
oder weniger die Originalität seiner Nation
auf, und so entsteht ein Drittes, wozu der
Geschmack der Menge sich erst heran bil-
den muſs.
Der nie genug zu schätzende Voſs
konnte das Publikum zuerst nicht befriedi-
gen, bis man sich nach und nach in die
neue Art hinein hörte, hinein bequemte.
Wer nun aber jetzt übersieht was gesche-
hen ist, welche Versatilität unter die Deut-
schen gekommen, welche rhetorische, rhyth-
mische, metrische Vortheile dem geistreich
talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie
nun Ariost und Tasso, Shakespear und Cal-
deron, als eingedeutschte Fremde, uns
doppelt und dreyfach vorgeführt werden,
der darf hoffen daſs die Literargeschichte
unbewunden aussprechen werde, wer die-
sen Weg unter mancherley Hindernissen
zuerst einschlug.
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/539>, abgerufen am 23.12.2024.
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