ihre Spuren in der neueren auf das ernst- lichste zu suchen und zu verfolgen; von Cairo zieht er auf den Berg Sinai, das Grab der heiligen Catharina zu verehren, und kehrt, wie von einer Lustreise, zur Haupt- stadt Aegyptens zurück; gelangt, von da zum zweitenmale abreisend, in sechzehn Tagen nach Jerusalem, wodurch das wahre Maass der Entfernung beyder Städte sich unserer Einbildungskraft aufdrängt. Dort, das heilige Grab verehrend, erbittet er sich vom Erlöser, wie früher schon von der heiligen Catharina, Befreyung von seiner Leidenschaft; und wie Schuppen fällt es ihm von den Augen, dass er ein Thor ge- wesen, die bisher Angebetete für die ein- zige zu halten die eine solche Huldigung verdiene; seine Abneigung gegen das übrige weibliche Geschlecht ist verschwunden, er sieht sich nach einer Gemalin um und schreibt seinen Freunden, zu denen er bald zurückzukehren hofft, ihm eine würdige auszusuchen.
Nachdem er nun alle heiligen Orte be- treten und bebetet, wozu ihm die Empfeh- lung seiner Freunde von Constantinopel,
ihre Spuren in der neueren auf das ernst- lichste zu suchen und zu verfolgen; von Cairo zieht er auf den Berg Sinai, das Grab der heiligen Catharina zu verehren, und kehrt, wie von einer Lustreise, zur Haupt- stadt Aegyptens zurück; gelangt, von da zum zweitenmale abreisend, in sechzehn Tagen nach Jerusalem, wodurch das wahre Maaſs der Entfernung beyder Städte sich unserer Einbildungskraft aufdrängt. Dort, das heilige Grab verehrend, erbittet er sich vom Erlöser, wie früher schon von der heiligen Catharina, Befreyung von seiner Leidenschaft; und wie Schuppen fällt es ihm von den Augen, daſs er ein Thor ge- wesen, die bisher Angebetete für die ein- zige zu halten die eine solche Huldigung verdiene; seine Abneigung gegen das übrige weibliche Geschlecht ist verschwunden, er sieht sich nach einer Gemalin um und schreibt seinen Freunden, zu denen er bald zurückzukehren hofft, ihm eine würdige auszusuchen.
Nachdem er nun alle heiligen Orte be- treten und bebetet, wozu ihm die Empfeh- lung seiner Freunde von Constantinopel,
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[468[470]/0480]
ihre Spuren in der neueren auf das ernst-
lichste zu suchen und zu verfolgen; von
Cairo zieht er auf den Berg Sinai, das Grab
der heiligen Catharina zu verehren, und
kehrt, wie von einer Lustreise, zur Haupt-
stadt Aegyptens zurück; gelangt, von da
zum zweitenmale abreisend, in sechzehn
Tagen nach Jerusalem, wodurch das wahre
Maaſs der Entfernung beyder Städte sich
unserer Einbildungskraft aufdrängt. Dort,
das heilige Grab verehrend, erbittet er sich
vom Erlöser, wie früher schon von der
heiligen Catharina, Befreyung von seiner
Leidenschaft; und wie Schuppen fällt es
ihm von den Augen, daſs er ein Thor ge-
wesen, die bisher Angebetete für die ein-
zige zu halten die eine solche Huldigung
verdiene; seine Abneigung gegen das übrige
weibliche Geschlecht ist verschwunden, er
sieht sich nach einer Gemalin um und
schreibt seinen Freunden, zu denen er bald
zurückzukehren hofft, ihm eine würdige
auszusuchen.
Nachdem er nun alle heiligen Orte be-
treten und bebetet, wozu ihm die Empfeh-
lung seiner Freunde von Constantinopel,
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 468[470]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/480>, abgerufen am 22.11.2024.
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