suchen, verschenkt er in Gedanken Län- der und Schätze, und spottet über den der sie wirklich besass und verlor. Eigentlich aber hat sich unser Dichter zu einer frey- willigen Armuth bekannt, um desto stol- zer aufzutreten, dass es ein Mädchen ge- be, die ihm desswegen doch hold und ge- wärtig ist.
Aber noch eines grössern Mangels rühmt er sich: ihm entwich die Jugend; sein Alter, seine grauen Haare schmückt er mit der Liebe Suleikas, nicht gecken- haft zudringlich, nein! ihrer Gegenliebe gewiss. Sie, die Geistreiche, weiss den Geist zu schätzen, der die Jugend früh zeitigt und das Alter verjüngt.
Das Schenken-Buch. Weder die unmässige Neigung zu dem halb verbote- nen Weine, noch das Zartgefühl für die Schönheit eines heranwachsenden Knaben durfte im Divan vermisst werden; letzte- res wollte jedoch unseren Sitten gemäss in aller Reinheit behandelt seyn.
Die Wechselneigung des früheren und späteren Alters deutet eigentlich auf ein ächt pädagogisches Verhältniss. Eine lei-
suchen, verschenkt er in Gedanken Län- der und Schätze, und spottet über den der sie wirklich besaſs und verlor. Eigentlich aber hat sich unser Dichter zu einer frey- willigen Armuth bekannt, um desto stol- zer aufzutreten, daſs es ein Mädchen ge- be, die ihm deſswegen doch hold und ge- wärtig ist.
Aber noch eines gröſsern Mangels rühmt er sich: ihm entwich die Jugend; sein Alter, seine grauen Haare schmückt er mit der Liebe Suleikas, nicht gecken- haft zudringlich, nein! ihrer Gegenliebe gewiſs. Sie, die Geistreiche, weiſs den Geist zu schätzen, der die Jugend früh zeitigt und das Alter verjüngt.
Das Schenken-Buch. Weder die unmäſsige Neigung zu dem halb verbote- nen Weine, noch das Zartgefühl für die Schönheit eines heranwachsenden Knaben durfte im Divan vermiſst werden; letzte- res wollte jedoch unseren Sitten gemäſs in aller Reinheit behandelt seyn.
Die Wechselneigung des früheren und späteren Alters deutet eigentlich auf ein ächt pädagogisches Verhältniſs. Eine lei-
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[412[414]/0424]
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sie wirklich besaſs und verlor. Eigentlich
aber hat sich unser Dichter zu einer frey-
willigen Armuth bekannt, um desto stol-
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be, die ihm deſswegen doch hold und ge-
wärtig ist.
Aber noch eines gröſsern Mangels
rühmt er sich: ihm entwich die Jugend;
sein Alter, seine grauen Haare schmückt
er mit der Liebe Suleikas, nicht gecken-
haft zudringlich, nein! ihrer Gegenliebe
gewiſs. Sie, die Geistreiche, weiſs den
Geist zu schätzen, der die Jugend früh
zeitigt und das Alter verjüngt.
Das Schenken-Buch. Weder die
unmäſsige Neigung zu dem halb verbote-
nen Weine, noch das Zartgefühl für die
Schönheit eines heranwachsenden Knaben
durfte im Divan vermiſst werden; letzte-
res wollte jedoch unseren Sitten gemäſs in
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Die Wechselneigung des früheren und
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 412[414]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/424>, abgerufen am 23.12.2024.
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