fen werden. Nachdem der Kopf gescho- ren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich, Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah sich im Spiegel und fand sein Ansehn gar zu hässlich. Darüber fing er an zu wei- nen, auch der Chodscha hub an zu weinen, und so weinten sie ein paar Stunden. Hier- auf trösteten einige Gesellschafter den Ti- mur und unterhielten ihn mit sonderbaren Erzählungen, um ihn alles vergessen zu machen. Timur hörte auf zu weinen, der Chodscha aber hörte nicht auf sondern fing erst recht an stärker zu weinen. Endlich sprach Timur zum Chodscha: höre! ich habe in den Spiegel geschaut und habe mich sehr hässlich gesehen, darüber be- trübte ich mich, weil ich nicht allein Kaiser bin, sondern auch viel Vermö- gen und Sclavinnen habe, daneben aber so hässlich bin, darum habe ich geweint. Und warum weinst du noch ohne Aufhören? Der Chodscha antwortete: wenn du nur einmal in den Spiegel gesehen und bei Be- schauung deines Gesichts es gar nicht hast aushalten können dich anzusehen, sondern darüber geweint hast, was sollen wir denn
fen werden. Nachdem der Kopf gescho- ren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich, Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah sich im Spiegel und fand sein Ansehn gar zu häſslich. Darüber fing er an zu wei- nen, auch der Chodscha hub an zu weinen, und so weinten sie ein paar Stunden. Hier- auf trösteten einige Gesellschafter den Ti- mur und unterhielten ihn mit sonderbaren Erzählungen, um ihn alles vergessen zu machen. Timur hörte auf zu weinen, der Chodscha aber hörte nicht auf sondern fing erst recht an stärker zu weinen. Endlich sprach Timur zum Chodscha: höre! ich habe in den Spiegel geschaut und habe mich sehr häſslich gesehen, darüber be- trübte ich mich, weil ich nicht allein Kaiser bin, sondern auch viel Vermö- gen und Sclavinnen habe, daneben aber so häſslich bin, darum habe ich geweint. Und warum weinst du noch ohne Aufhören? Der Chodscha antwortete: wenn du nur einmal in den Spiegel gesehen und bei Be- schauung deines Gesichts es gar nicht hast aushalten können dich anzusehen, sondern darüber geweint hast, was sollen wir denn
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[410[412]/0422]
fen werden. Nachdem der Kopf gescho-
ren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich,
Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah
sich im Spiegel und fand sein Ansehn gar
zu häſslich. Darüber fing er an zu wei-
nen, auch der Chodscha hub an zu weinen,
und so weinten sie ein paar Stunden. Hier-
auf trösteten einige Gesellschafter den Ti-
mur und unterhielten ihn mit sonderbaren
Erzählungen, um ihn alles vergessen zu
machen. Timur hörte auf zu weinen, der
Chodscha aber hörte nicht auf sondern fing
erst recht an stärker zu weinen. Endlich
sprach Timur zum Chodscha: höre! ich
habe in den Spiegel geschaut und habe
mich sehr häſslich gesehen, darüber be-
trübte ich mich, weil ich nicht allein
Kaiser bin, sondern auch viel Vermö-
gen und Sclavinnen habe, daneben aber so
häſslich bin, darum habe ich geweint. Und
warum weinst du noch ohne Aufhören?
Der Chodscha antwortete: wenn du nur
einmal in den Spiegel gesehen und bei Be-
schauung deines Gesichts es gar nicht hast
aushalten können dich anzusehen, sondern
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 410[412]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/422>, abgerufen am 23.12.2024.
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