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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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sich in dieser Denkart so fest, dass ihn
irgend ein Misslingen seiner Hoffnungen
bis zum Wahnsinn treibt. Firdusi erwartet
für sein Schah Nameh, nach einer früheren
Aeusserung des Kaisers, sechzig tausend
Goldstücke; da er aber dagegen nur sech-
zig tausend Silberstücke erhält, eben da er
sich im Bade befindet, theilt er die Summe
in drey Theile, schenkt einen dem Bothen,
einen dem Bademeister und den dritten dem
Sorbetschenken, und vernichtet sogleich,
mit wenigen ehrenrührigen Schmähzeilen,
alles Lob was er seit so vielen Jahren dem
Schah gespendet. Er entflieht, verbirgt
sich, widerruft nicht, sondern trägt seinen
Hass auf die Seinigen über, so dass seine
Schwester ein ansehnliches Geschenk, vom
begütigten Sultan abgesendet, aber leider
erst nach des Bruders Tode ankommend,
gleichfalls verschmäht und abweist.

Wollten wir nun das alles weiter ent-
wicklen, so würden wir sagen dass vom
Thron, durch alle Stufen hinab, bis zum
Derwisch an der Strassenecke, alles voller
Anmassung zu finden sey, voll weltlichen
und geistlichen Hochmuths, der auf die

sich in dieser Denkart so fest, daſs ihn
irgend ein Miſslingen seiner Hoffnungen
bis zum Wahnsinn treibt. Firdusi erwartet
für sein Schah Nameh, nach einer früheren
Aeuſserung des Kaisers, sechzig tausend
Goldstücke; da er aber dagegen nur sech-
zig tausend Silberstücke erhält, eben da er
sich im Bade befindet, theilt er die Summe
in drey Theile, schenkt einen dem Bothen,
einen dem Bademeister und den dritten dem
Sorbetschenken, und vernichtet sogleich,
mit wenigen ehrenrührigen Schmähzeilen,
alles Lob was er seit so vielen Jahren dem
Schah gespendet. Er entflieht, verbirgt
sich, widerruft nicht, sondern trägt seinen
Haſs auf die Seinigen über, so daſs seine
Schwester ein ansehnliches Geschenk, vom
begütigten Sultan abgesendet, aber leider
erst nach des Bruders Tode ankommend,
gleichfalls verschmäht und abweist.

Wollten wir nun das alles weiter ent-
wicklen, so würden wir sagen daſs vom
Thron, durch alle Stufen hinab, bis zum
Derwisch an der Straſsenecke, alles voller
Anmaſsung zu finden sey, voll weltlichen
und geistlichen Hochmuths, der auf die

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[405[407]/0417] sich in dieser Denkart so fest, daſs ihn irgend ein Miſslingen seiner Hoffnungen bis zum Wahnsinn treibt. Firdusi erwartet für sein Schah Nameh, nach einer früheren Aeuſserung des Kaisers, sechzig tausend Goldstücke; da er aber dagegen nur sech- zig tausend Silberstücke erhält, eben da er sich im Bade befindet, theilt er die Summe in drey Theile, schenkt einen dem Bothen, einen dem Bademeister und den dritten dem Sorbetschenken, und vernichtet sogleich, mit wenigen ehrenrührigen Schmähzeilen, alles Lob was er seit so vielen Jahren dem Schah gespendet. Er entflieht, verbirgt sich, widerruft nicht, sondern trägt seinen Haſs auf die Seinigen über, so daſs seine Schwester ein ansehnliches Geschenk, vom begütigten Sultan abgesendet, aber leider erst nach des Bruders Tode ankommend, gleichfalls verschmäht und abweist. Wollten wir nun das alles weiter ent- wicklen, so würden wir sagen daſs vom Thron, durch alle Stufen hinab, bis zum Derwisch an der Straſsenecke, alles voller Anmaſsung zu finden sey, voll weltlichen und geistlichen Hochmuths, der auf die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 405[407]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/417>, abgerufen am 24.11.2024.