kommt. Der Herrscher selbst ist der erste Anmassliche, der die übrigen alle auszu- schliessen scheint. Ihm stehen alle zu Dienst, er ist Gebieter sein selbst, niemand gebie- tet ihm, und sein eigner Wille erschafft die übrige Welt, so dass er sich mit der Sonne, ja mit dem Weltall vergleichen kann. Auf- fallend ist es jedoch, dass er eben dadurch genöthigt ist sich einen Mitregenten zu erwählen, der ihm in diesem unbegränzten Felde beystehe, ja ihn ganz eigentlich auf dem Weltenthrone erhalte. Es ist der Dichter, der mit und neben ihm wirkt und ihn über alle Sterbliche erhöht. Sammlen sich nun an seinem Hofe viele dergleichen Talente, so giebt er ihnen einen Dichterkönig, und zeigt dadurch, dass er das höchste Talent für sei- nes Gleichen anerkenne. Hierdurch wird der Dichter aber aufgefordert, ja verleitet, eben so hoch von sich zu denken als von dem Fürsten, und sich im Mitbesitz der grössten Vorzüge und Glückseligkeiten zu fühlen. Hierin wird er bestärkt durch die gränzenlosen Geschenke die er erhält, durch den Reichthum den er sammelt, durch die Einwirkung die er ausübt. Auch setzt er
kommt. Der Herrscher selbst ist der erste Anmaſsliche, der die übrigen alle auszu- schlieſsen scheint. Ihm stehen alle zu Dienst, er ist Gebieter sein selbst, niemand gebie- tet ihm, und sein eigner Wille erschafft die übrige Welt, so daſs er sich mit der Sonne, ja mit dem Weltall vergleichen kann. Auf- fallend ist es jedoch, daſs er eben dadurch genöthigt ist sich einen Mitregenten zu erwählen, der ihm in diesem unbegränzten Felde beystehe, ja ihn ganz eigentlich auf dem Weltenthrone erhalte. Es ist der Dichter, der mit und neben ihm wirkt und ihn über alle Sterbliche erhöht. Sammlen sich nun an seinem Hofe viele dergleichen Talente, so giebt er ihnen einen Dichterkönig, und zeigt dadurch, daſs er das höchste Talent für sei- nes Gleichen anerkenne. Hierdurch wird der Dichter aber aufgefordert, ja verleitet, eben so hoch von sich zu denken als von dem Fürsten, und sich im Mitbesitz der gröſsten Vorzüge und Glückseligkeiten zu fühlen. Hierin wird er bestärkt durch die gränzenlosen Geschenke die er erhält, durch den Reichthum den er sammelt, durch die Einwirkung die er ausübt. Auch setzt er
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[404[406]/0416]
kommt. Der Herrscher selbst ist der erste
Anmaſsliche, der die übrigen alle auszu-
schlieſsen scheint. Ihm stehen alle zu Dienst,
er ist Gebieter sein selbst, niemand gebie-
tet ihm, und sein eigner Wille erschafft die
übrige Welt, so daſs er sich mit der Sonne,
ja mit dem Weltall vergleichen kann. Auf-
fallend ist es jedoch, daſs er eben dadurch
genöthigt ist sich einen Mitregenten zu
erwählen, der ihm in diesem unbegränzten
Felde beystehe, ja ihn ganz eigentlich auf dem
Weltenthrone erhalte. Es ist der Dichter,
der mit und neben ihm wirkt und ihn über
alle Sterbliche erhöht. Sammlen sich nun
an seinem Hofe viele dergleichen Talente, so
giebt er ihnen einen Dichterkönig, und zeigt
dadurch, daſs er das höchste Talent für sei-
nes Gleichen anerkenne. Hierdurch wird
der Dichter aber aufgefordert, ja verleitet,
eben so hoch von sich zu denken als von
dem Fürsten, und sich im Mitbesitz der
gröſsten Vorzüge und Glückseligkeiten zu
fühlen. Hierin wird er bestärkt durch die
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 404[406]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/416>, abgerufen am 23.12.2024.
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