könne. Ihre Tugenden lassen sich nicht von ihren Fehlern trennen, beyde beziehen sich auf einander, entspringen aus einander und man muss sie gelten lassen ohne Mä- ckeln und Markten. Nichts ist unerträgli- cher, als wenn Reiske und Michaelis jene Dichter bald in den Himmel heben, bald wieder wie einfältige Schulknaben be- handeln.
Dabey lässt sich jedoch auffallend be- merken, dass die ältesten Dichter, die zu- nächst am Naturquell der Eindrücke lebten und ihre Sprache dichtend bildeten, sehr grosse Vorzüge haben müssen; diejenigen, die in eine schon durchgearbeitete Zeit, in verwickelte Verhältnisse kommen, zeigen zwar immer dasselbe Bestreben, verlieren aber allmählig die Spur des Rechten und Lobens- würdigen. Denn wenn sie nach entfernten und immer entfernteren Tropen haschen, so wird es baarer Unsinn, höchstens bleibt zuletzt nichts weiter als der allgemeinste Begriff, unter welchem die Gegenstände allenfalls möchten zusammen zu fassen seyn, der Begriff der alles Anschauen, und somit die Poesie selbst aufhebt.
könne. Ihre Tugenden lassen sich nicht von ihren Fehlern trennen, beyde beziehen sich auf einander, entspringen aus einander und man muſs sie gelten lassen ohne Mä- ckeln und Markten. Nichts ist unerträgli- cher, als wenn Reiske und Michaelis jene Dichter bald in den Himmel heben, bald wieder wie einfältige Schulknaben be- handeln.
Dabey läſst sich jedoch auffallend be- merken, daſs die ältesten Dichter, die zu- nächst am Naturquell der Eindrücke lebten und ihre Sprache dichtend bildeten, sehr groſse Vorzüge haben müssen; diejenigen, die in eine schon durchgearbeitete Zeit, in verwickelte Verhältnisse kommen, zeigen zwar immer dasselbe Bestreben, verlieren aber allmählig die Spur des Rechten und Lobens- würdigen. Denn wenn sie nach entfernten und immer entfernteren Tropen haschen, so wird es baarer Unsinn, höchstens bleibt zuletzt nichts weiter als der allgemeinste Begriff, unter welchem die Gegenstände allenfalls möchten zusammen zu fassen seyn, der Begriff der alles Anschauen, und somit die Poesie selbst aufhebt.
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könne. Ihre Tugenden lassen sich nicht
von ihren Fehlern trennen, beyde beziehen
sich auf einander, entspringen aus einander
und man muſs sie gelten lassen ohne Mä-
ckeln und Markten. Nichts ist unerträgli-
cher, als wenn Reiske und Michaelis
jene Dichter bald in den Himmel heben,
bald wieder wie einfältige Schulknaben be-
handeln.
Dabey läſst sich jedoch auffallend be-
merken, daſs die ältesten Dichter, die zu-
nächst am Naturquell der Eindrücke lebten
und ihre Sprache dichtend bildeten, sehr
groſse Vorzüge haben müssen; diejenigen,
die in eine schon durchgearbeitete Zeit, in
verwickelte Verhältnisse kommen, zeigen
zwar immer dasselbe Bestreben, verlieren aber
allmählig die Spur des Rechten und Lobens-
würdigen. Denn wenn sie nach entfernten
und immer entfernteren Tropen haschen, so
wird es baarer Unsinn, höchstens bleibt
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Begriff, unter welchem die Gegenstände
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/373>, abgerufen am 23.12.2024.
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