sinn, wovon die wunderlichsten Beyspiele vorgelegt werden könnten.
Der obersten Gewalt jedoch, von der alles herfliesst, Wohlthat und Pein, unter- werfen sich mässige, feste, folgerechte Na- turen, um nach ihrer Weise zu leben und zu wirken. Der Dichter aber hat am er- sten Ursache sich dem Höchsten, der sein Talent schätzt, zu widmen. Am Hof, im Umgange mit Grossen, eröffnet sich ihm eine Weltübersicht, deren er bedarf um zum Reichthum aller Stoffe zu gelangen. Hierin liegt nicht nur Entschuldigung, son- dern Berechtigung zu schmeicheln, wie es dem Panegyristen zukommt, der sein Hand- werk am besten ausübt, wenn er sich mit der Fülle des Stoffes bereichert, um Für- sten und Veziere, Mädchen und Knaben, Propheten und Heilige, ja zuletzt die Gott- heit selbst, menschlicher Weise überfüllt auszuschmücken.
Auch unsern westlichen Dichter loben wir, dass er eine Welt von Putz und Pracht zusammengehäuft, um das Bild seiner Ge- liebten zu verherrlichen.
sinn, wovon die wunderlichsten Beyspiele vorgelegt werden könnten.
Der obersten Gewalt jedoch, von der alles herflieſst, Wohlthat und Pein, unter- werfen sich mäſsige, feste, folgerechte Na- turen, um nach ihrer Weise zu leben und zu wirken. Der Dichter aber hat am er- sten Ursache sich dem Höchsten, der sein Talent schätzt, zu widmen. Am Hof, im Umgange mit Groſsen, eröffnet sich ihm eine Weltübersicht, deren er bedarf um zum Reichthum aller Stoffe zu gelangen. Hierin liegt nicht nur Entschuldigung, son- dern Berechtigung zu schmeicheln, wie es dem Panegyristen zukommt, der sein Hand- werk am besten ausübt, wenn er sich mit der Fülle des Stoffes bereichert, um Für- sten und Veziere, Mädchen und Knaben, Propheten und Heilige, ja zuletzt die Gott- heit selbst, menschlicher Weise überfüllt auszuschmücken.
Auch unsern westlichen Dichter loben wir, daſs er eine Welt von Putz und Pracht zusammengehäuft, um das Bild seiner Ge- liebten zu verherrlichen.
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sinn, wovon die wunderlichsten Beyspiele
vorgelegt werden könnten.
Der obersten Gewalt jedoch, von der
alles herflieſst, Wohlthat und Pein, unter-
werfen sich mäſsige, feste, folgerechte Na-
turen, um nach ihrer Weise zu leben und
zu wirken. Der Dichter aber hat am er-
sten Ursache sich dem Höchsten, der sein
Talent schätzt, zu widmen. Am Hof, im
Umgange mit Groſsen, eröffnet sich ihm
eine Weltübersicht, deren er bedarf um
zum Reichthum aller Stoffe zu gelangen.
Hierin liegt nicht nur Entschuldigung, son-
dern Berechtigung zu schmeicheln, wie es
dem Panegyristen zukommt, der sein Hand-
werk am besten ausübt, wenn er sich mit
der Fülle des Stoffes bereichert, um Für-
sten und Veziere, Mädchen und Knaben,
Propheten und Heilige, ja zuletzt die Gott-
heit selbst, menschlicher Weise überfüllt
auszuschmücken.
Auch unsern westlichen Dichter loben
wir, daſs er eine Welt von Putz und Pracht
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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/369>, abgerufen am 23.12.2024.
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