Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

der Dichter nicht geradezu alles denken
und leben müsse was er ausspricht, am
wenigsten derjenige der in späterer Zeit in
verwickelte Zustände geräth, wo er sich
immer der rhetorischen Verstellung nähern
und dasjenige vortragen wird was seine
Zeitgenossen gerne hören. Diess scheint
uns bey Hafis durchaus der Fall. Denn
wie ein Mährchen-Erzähler auch nicht an
die Zaubereyen glaubt die er vorspiegelt,
sondern sie nur aufs beste zu beleben und
auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer
sich daran ergötzen, eben so wenig braucht
gerade der lyrische Dichter dasjenige alles
selbst auszuüben, womit er hohe und ge-
ringe Leser und Sänger ergötzt und be-
schmeichelt. Auch scheint unser Dichter
keinen grossen Werth auf seine so leicht
hinfliessenden Lieder gelegt zu haben, denn
seine Schüler sammelten sie erst nach seinem
Tode.

Nur wenig sagen wir von diesen Dich-
tungen, weil man-sie geniessen, sich damit
in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt
eine fortquellende, mässige Lebendigkeit.
Im Engen genügsam froh und klug, von

der Dichter nicht geradezu alles denken
und leben müsse was er ausspricht, am
wenigsten derjenige der in späterer Zeit in
verwickelte Zustände geräth, wo er sich
immer der rhetorischen Verstellung nähern
und dasjenige vortragen wird was seine
Zeitgenossen gerne hören. Dieſs scheint
uns bey Hafis durchaus der Fall. Denn
wie ein Mährchen-Erzähler auch nicht an
die Zaubereyen glaubt die er vorspiegelt,
sondern sie nur aufs beste zu beleben und
auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer
sich daran ergötzen, eben so wenig braucht
gerade der lyrische Dichter dasjenige alles
selbst auszuüben, womit er hohe und ge-
ringe Leser und Sänger ergötzt und be-
schmeichelt. Auch scheint unser Dichter
keinen groſsen Werth auf seine so leicht
hinflieſsenden Lieder gelegt zu haben, denn
seine Schüler sammelten sie erst nach seinem
Tode.

Nur wenig sagen wir von diesen Dich-
tungen, weil man-sie genieſsen, sich damit
in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt
eine fortquellende, mäſsige Lebendigkeit.
Im Engen genügsam froh und klug, von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0327" n="317"/>
der Dichter nicht geradezu alles denken<lb/>
und leben müsse was er ausspricht, am<lb/>
wenigsten derjenige der in späterer Zeit in<lb/>
verwickelte Zustände geräth, wo er sich<lb/>
immer der rhetorischen Verstellung nähern<lb/>
und dasjenige vortragen wird was seine<lb/>
Zeitgenossen gerne hören. Die&#x017F;s scheint<lb/>
uns bey Hafis durchaus der Fall. Denn<lb/>
wie ein Mährchen-Erzähler auch nicht an<lb/>
die Zaubereyen glaubt die er vorspiegelt,<lb/>
sondern sie nur aufs beste zu beleben und<lb/>
auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer<lb/>
sich daran ergötzen, eben so wenig braucht<lb/>
gerade der lyrische Dichter dasjenige alles<lb/>
selbst auszuüben, womit er hohe und ge-<lb/>
ringe Leser und Sänger ergötzt und be-<lb/>
schmeichelt. Auch scheint unser Dichter<lb/>
keinen gro&#x017F;sen Werth auf seine so leicht<lb/>
hinflie&#x017F;senden Lieder gelegt zu haben, denn<lb/>
seine Schüler sammelten sie erst nach seinem<lb/>
Tode.</p><lb/>
          <p>Nur wenig sagen wir von diesen Dich-<lb/>
tungen, weil man-sie genie&#x017F;sen, sich damit<lb/>
in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt<lb/>
eine fortquellende, mä&#x017F;sige Lebendigkeit.<lb/>
Im Engen genügsam froh und klug, von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0327] der Dichter nicht geradezu alles denken und leben müsse was er ausspricht, am wenigsten derjenige der in späterer Zeit in verwickelte Zustände geräth, wo er sich immer der rhetorischen Verstellung nähern und dasjenige vortragen wird was seine Zeitgenossen gerne hören. Dieſs scheint uns bey Hafis durchaus der Fall. Denn wie ein Mährchen-Erzähler auch nicht an die Zaubereyen glaubt die er vorspiegelt, sondern sie nur aufs beste zu beleben und auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer sich daran ergötzen, eben so wenig braucht gerade der lyrische Dichter dasjenige alles selbst auszuüben, womit er hohe und ge- ringe Leser und Sänger ergötzt und be- schmeichelt. Auch scheint unser Dichter keinen groſsen Werth auf seine so leicht hinflieſsenden Lieder gelegt zu haben, denn seine Schüler sammelten sie erst nach seinem Tode. Nur wenig sagen wir von diesen Dich- tungen, weil man-sie genieſsen, sich damit in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt eine fortquellende, mäſsige Lebendigkeit. Im Engen genügsam froh und klug, von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/327
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/327>, abgerufen am 23.12.2024.